Marburger Konzentrationstraining

Beim Marburger Konzentrationstraining (MKT) für Kinder handelt es sich um psychologische bzw. kinderpsychiatrische Therapiemaßnahmen zur Behandlung einer Konzentrationsstörung im Kindesalter. Das Verfahren beruht auf dem Einsatz eines Selbstinstruktionstrainings und wird als Therapiemethode des kognitiv-verhaltenstherapeutischen Trainings für Vorschul- und Schulkinder eingesetzt. Das Konzentrationstraining soll den Kindern einerseits die Selbstinstruktion ermöglichen und andererseits die Funktionen des Alltags, beispielsweise das Erledigen von Hausaufgaben, erleichtern. Die Selbstinstruktion bezeichnet eine Methode, bei der die Kinder einen inneren Monolog zur Planung und Regulation des eigenen Verhaltens erlernen, um gezielt Alltagsprobleme zu erkennen, aber auch die Anforderungen an sich selbst zu bestimmen und um ihr eigenes Verhalten zu planen. Außerdem werden mithilfe dieser Methode Erfolgserlebnisse verstärkt und der Umgang mit Frustration erlernt. Neben der Selbstinstruktion gehören Entspannungstechniken, zum Beispiel autogenes Training, und Verhaltensmodifikation zum Marburger Konzentrationstraining.

Zielsetzungen und Wirkungen der MKT

Zielsetzungen des MKT

  • Verbesserung der Konzentrationsfähigkeit: Das Hauptziel des MKT ist es, die Konzentrationsdauer und -qualität der teilnehmenden Kinder und Jugendlichen zu erhöhen.
  • Förderung der Selbststeuerung: Das Training zielt darauf ab, Selbstkontrollmechanismen zu stärken, damit die Kinder lernen, ihre Aufmerksamkeit selbständig zu regulieren.
  • Stärkung der Arbeitsorganisation: Durch strukturierte Übungen werden die Teilnehmer darin geschult, Aufgaben systematischer und effizienter anzugehen.
  • Erhöhung der Motivation: Ein weiteres Ziel ist es, die intrinsische Motivation der Kinder zu fördern, um die Freude am Lernen und an der Bewältigung von Aufgaben zu steigern.

Wirkungen des MKT

  • Verbesserte Aufmerksamkeitsleistung: Kinder, die am MKT teilnehmen, zeigen oft eine deutliche Verbesserung ihrer Fähigkeit, sich über längere Zeiträume hinweg zu konzentrieren.
  • Besseres schulisches Lernen: Das Training kann zu einer Verbesserung der schulischen Leistungen führen, da die Kinder lernen, sich besser auf den Unterricht und Hausaufgaben zu konzentrieren.
  • Positiver Einfluss auf das Sozialverhalten: Durch die Förderung der Selbstregulierung können positive Auswirkungen auf das Sozialverhalten der Kinder beobachtet werden, einschließlich einer Verringerung impulsiver Verhaltensweisen.
  • Langfristige Effekte: Das MKT zielt darauf ab, langfristige Fähigkeiten in Bezug auf Konzentration und Selbstkontrolle zu entwickeln, die über die Dauer des Trainings hinausgehen.

Das Marburger Konzentrationstraining bietet somit einen strukturierten Ansatz zur Verbesserung der Konzentrationsfähigkeit bei Kindern und Jugendlichen und kann besonders bei jenen mit Aufmerksamkeitsdefiziten oder Konzentrationsschwierigkeiten von großem Nutzen sein.

Indikation (Anwendungsgebiete)

  • ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätssyndrom) und ADS (Aufmerksamkeitsdefizit-Syndrom) − Das ADHS ist durch einen Mangel an Ausdauer bei kognitiven Beschäftigungen und eine sprunghafte Tendenz charakterisiert. Das Verhalten wirkt im Vergleich zur gesellschaftlichen Norm hyperaktiv und desorganisiert. Neben der Unaufmerksamkeit und der Hyperaktivität ist zudem eine ausgeprägte Impulsivität typisch, wobei Impulsivität und Hyperaktivität insbesondere beim weiblichen Geschlecht häufiger fehlen können und dann die Diagnose einer reinen Aufmerksamkeitsstörung (ADS) zu stellen ist. Die Symptome müssen zur Diagnosestellung erstmalig vor dem 7. Lebensjahr auftreten, über mindestens 6 Monate vorliegen und in mehreren Situationen (klassischerweise: Schule und häusliche Umgebung) zu beobachten sein.
  • Kombinierte Störungsbilder − Störungsbilder der Kinder- und Jungendpsychiatrie wie das ADHS kommen häufig in Kombination mit weiteren psychiatrischen Störungen wie der Störung des Sozialverhaltens vor. Durch eine adäquate Therapie einer Konzentrationsstörung unter anderem mithilfe des Marburger Konzentrationstrainings können weitere Störungsbilder einer kognitiven Verhaltenstherapie oder anderen therapeutischen Maßnahmen zugänglich werden.

Kontraindikationen (Gegenanzeigen)

Kognitive Verhaltenstherapie (KVT) in Kombination mit weiteren Methoden wie heilpädagogische Maßnahmen, Selbstinstruktionstraining, Elterntraining und Konditionierungsprogramme (auf erwünschtes Verhalten folgt eine sofortige Belohnung) stellen die Basis der Therapie des ADHS und ADS dar. Auf Grund dessen liegen keine absoluten Kontraindikationen vor, allerdings muss die Therapie an das Intelligenzniveau des Kindes angepasst werden. Bei geistiger Behinderung sind kognitive Methoden häufig nur sehr eingeschränkt nutzbar und praktische Übungen sowie das Elterntraining und Ergotherapie nehmen einen wichtigeren Teil der Therapie ein.

Vor der Therapie

Vor der Therapie ist zu überprüfen, ob die Diagnose einer psychiatrischen Störung wie beispielsweise ein ADHS gestellt werden und ob kombinierte Störungsbilder vorliegen. Weiterhin muss bei kombinierten Störungsbildern eine Rangfolge der Therapie erstellt werden, welche Therapiemethoden zunächst eingesetzt werden und welche Maßnahmen notwendig sind, um überhaupt ein Konzentrationstraining durchführen zu können.

Das Verfahren

Das Marburger Konzentrationstraining hat das Ziel, die Symptome Konzentrationsdefizit und Impulsivität des ADHS zu reduzieren. Hierzu erfolgt ein Training mit den betroffenen Kindern, welches in mehreren Situationen (zu Hause und in der Schule) durchgeführt wird.

Die wichtigste Komponente des Marburger Konzentrationstrainings stellt das Selbstinstruktionstraining dar, welches in fünf Phasen gegliedert werden kann:

  1. Modelllernen: Der Therapeut führt als Modell eine Aufgabe selbst durch, während sie oder er laut selbst zu sich spricht.
  2. Fremdsteuerung: Das Kind führt die gleiche Aufgabe selbst durch, während der Therapeut es laut instruiert. Anschließend erfolgt die gemeinsame Bearbeitung der Aufgabe durch den Therapeuten und das Kind.
  3. Lautes Denken: Das Kind führt die Aufgabe wieder selbst durch, allerdings instruiert sich das Kind selbst laut. Zunächst ist hierfür eine Hilfestellung des Therapeuten notwendig. Anschließend spricht das Kind die Anweisung zu den einzelnen Arbeitsschritten und führt die jeweilige Aufgabe durch, wobei die anderen Kinder ebenfalls die Aufgabe durchführen. Wichtig ist hierbei, dass der Therapeut Erfolge der Kinder lobt und dadurch verstärkt.
  4. Leise Selbstinstruktion: Nachfolgend führt das Kind die Aufgabe durch, wobei es sich selbst flüsternd instruiert. Nach dem Lösen der jeweiligen Aufgaben lobt sich jedes Kind wieder laut.
  5. Inneres Sprechen oder Selbstinstruktion: Letzter Schritt des Selbstinstruktionstrainings ist die Durchführung der Aufgabe und das Denken der Instruktion. Ziel ist hierbei die Generalisierung der Selbstinstruktion auf andere Tätigkeiten im Alltag. So kann das Kind das Verfahren bei Hausaufgaben oder im Schulunterricht anwenden.

Nach der Therapie

Der Therapieerfolg kann mithilfe verschiedener Methoden wie zum Beispiel Fragebögen und psychologischen Tests überprüft werden. Bei nicht ausreichender Besserung der Symptomatik oder bei Vorliegen kombinierter Störungsbilder kann eine zusätzliche pharmakologische Therapie notwendig werden. Beim ADHS sind verschiedene Arzneimittel zugelassen, wobei eine individuelle Auswahl für jeden Patienten notwendig ist.

Mögliche Komplikationen

Mögliche Frühkomplikationen

  • Überforderung: Einige Kinder können sich durch die Anforderungen des Trainings überfordert fühlen, besonders wenn sie Schwierigkeiten mit der Konzentration haben.
  • Frustration: Die Unfähigkeit, sofortige Verbesserungen zu erzielen, kann bei einigen Kindern zu Frustration führen.
  • Stress: Der Druck, sich konzentrieren zu müssen und die Erwartungen der Eltern oder Lehrer erfüllen zu wollen, kann bei einigen Teilnehmern Stress auslösen.
  • Widerstand gegen das Training: Kinder, die sich gegen das Training wehren oder nicht aktiv teilnehmen wollen, könnten weniger davon profitieren und möglicherweise negative Einstellungen zum Lernprozess entwickeln.

Mögliche Spätkomplikationen

  • Unrealistische Erwartungen: Langfristig könnten Eltern oder Lehrer unrealistische Erwartungen hinsichtlich der Fortschritte des Kindes haben.
  • Abhängigkeit von der Struktur des MKT: Einige Kinder könnten sich zu sehr auf die Struktur und Unterstützung des Trainings verlassen und Schwierigkeiten haben, diese Fertigkeiten selbstständig im Alltag anzuwenden.
  • Mangelnde Nachhaltigkeit: Ohne kontinuierliche Übung und Anwendung könnten die im Training erlernten Fähigkeiten langfristig nachlassen.
  • Soziale Isolation: In seltenen Fällen könnte das Kind so sehr auf das MKT fokussiert sein, dass es soziale Interaktionen vernachlässigt.

Es ist wichtig zu betonen, dass diese Komplikationen nicht häufig auftreten und das MKT im Allgemeinen als eine effektive Methode zur Förderung der Konzentrationsfähigkeit bei Kindern und Jugendlichen angesehen wird. Eine sorgfältige Begleitung durch geschulte Fachkräfte und die Einbeziehung der Eltern kann helfen, potenzielle Komplikationen zu minimieren.

Literatur

  1. Remschmidt H: Kinder- und Jugendpsychiatrie: Eine praktische Einführung. Georg Thieme Verlag 2011
  2. Lempp T: BASICS Kinder- und Jugendpsychiatrie. Elsevier Verlag 2013
  3. DIMDI: Verhaltens- und emotionale Störungen mit Beginn in der Kindheit und Jugend. DIMIDI, ICD-10-GM Version 2013
  4. Schäfer B: Zur Wirksamkeit von Neurofeedback und Marburger Konzentrationstraining in der Therapie von Kindern mit Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS). Dissertation, Universität Frankfurt 2011
  5. Witte S: Entwicklung und Evaluation eines videogestützten Selbstinstruktionstrainings für aufmerksamkeitsgestörte Kinder. Dissertation, Universität Göttingen 2001