In-vitro-Maturation (IVM)
Die In-vitro-Maturation (Reifung der Eizellen außerhalb des Körpers) von humanen Oozyten (Eizellen) stellt eine alternative Methode der assistierten Reproduktionsmedizin (künstlichen Befruchtung) dar. Hierbei reifen unreife Eizellen (im Germinalvesikel- oder MI-Stadium [unreife Entwicklungsstadien]) außerhalb des Körpers zur Metaphase-II (MII [reifes Stadium]) heran. Insbesondere bei Patientinnen mit erhöhtem Risiko für ovarielles Hyperstimulationssyndrom (OHSS [Überreaktion der Eierstöcke]), polyzystischem Ovarialsyndrom (PCOS [hormonelle Störung mit vielen Eibläschen]) oder hormonabhängigen Erkrankungen (z. B. Brustkrebs) stellt IVM eine risikoärmere Option dar [1,2].
Trotz klinischer Anwendung seit den 1990er-Jahren war die Reife- und Entwicklungsfähigkeit der Eizellen im Vergleich zur klassischen IVF (Befruchtung im Reagenzglas) lange eingeschränkt. Erst durch Modifikationen wie die Gabe von rekombinantem FSH (künstlich hergestelltem follikelstimulierendem Hormon) oder hCG („priming“ [Hormonvorbehandlung]), verbesserte Kulturmedien (Nährlösung für Zellen) und personalisierte Stimulationsstrategien konnten die Ergebnisse hinsichtlich Maturation und Schwangerschaftsrate verbessert werden.
Indikationen (Anwendungsgebiete)
- Frauen mit positiver Anamnese, d. h. mit ovariellen Hyperstimulationssyndrom (OHSS [Überreaktion der Eierstöcke]) in einer zurückliegenden Stimulation (Eizellreifungstherapie)
- Frauen mit polyzystischem Ovarsyndrom (PCO-Syndrom; PCOS [Hormonstörung mit vielen kleinen Eibläschen])
- Patientinnen mit einem begrenzten Zeitfenster vor einer zytotoxischen (zellschädigenden) Therapie bei malignen (bösartigen) Erkrankungen als fertilitätskonservierende Maßnahme
- Patientinnen mit PCOS bzw. hohem antralen Follikel-Count (AFC [Anzahl der kleinen Eibläschen])
- Patientinnen, die Low-/Non-Responder (unzureichende Follikelbildung/Eizellbildung unter Gonadotropinstimulation [Hormontherapie]) mit gutem Anti-Müller-Hormon (AMH [Eizellreserve-Marker]) bzw. hohem AFC sind (diskussionswürdig)
- Ovarielle Überempfindlichkeit gegenüber Gonadotropinen (Eierstocküberreaktion auf Fruchtbarkeitshormone)
- Kontraindikation für hohe Östrogenspiegel (z. B. Mamma- oder Endometriumkarzinom [Brust- oder Gebärmutterschleimhautkrebs])
- Fertilitätsprotektion (Fruchtbarkeitserhalt) bei onkologischen Erkrankungen (Krebserkrankungen) vor gonadotoxischer Therapie (eierstockschädigender Behandlung)
- Kinder- und Jugendgynäkologie (Mädchengynäkologie) bei präpubertären Patientinnen (vor der Pubertät) mit Notwendigkeit der Oozytenentnahme (Eizellentnahme)
Bei polyzystischem Ovarsyndrom besteht ein erhöhtes Risiko, dass durch die Gonadotropinstimulation ein OHSS entsteht. Des Weiteren kann durch IVM dabei vermieden werden, dass eine überdurchschnittlich hohe Zahl unreifer Oozyten (Eizellen) aspiriert wird.
Beachte: Auch Frauen unter 30 Jahren haben bei einer Stimulationstherapie ein erhöhtes Risiko für ein OHSS.
Das Verfahren
Heutzutage wird der IVM zumeist eine Kurzzeitstimulation mit Gonadotropinen (follikelstimulierendes Hormon (FSH) und luteinisierendes Hormon (LH)) in niedriger Dosierung vorgeschaltet oder es wird gänzlich auf eine Stimulation verzichtet.
Die Follikelpunktion (Eizellpunktion/Eizellen) der Ovarialfollikel (Eifollikel; "Eibläschen") erfolgt transvaginal ("durch die Scheide").
Der Inhalt der Ovarialfollikeln (Einheit aus Eizelle und den sie umgebenden Hilfszellen im Eierstock (Ovarium) und der darin befindlichen Eizellen wird kultiviert. Folgende Lösung kommt zum Ansatz: Patientenserum (Endkonzentration 0,1 ml/ml IVM-Medium). FSH (Endkonzentration 0,08 IU/ml IVM-Medium) und HCG (Endkonzentration 0,1 IU/ml IVM-Medium).
Die Lutealphase (Gelbkörper-Phase) wird mit 6 mg Östradiol oral ab Eizellgewinnung und 600 mg Progesteron vaginal ab der Eizellinsemination unterstützt.
Die so in-vitro gereiften Oozyten (Eizellen) werden dabei in typischer Weise mit dem Sperma (Samenzellen) des Mannes fertilisiert (befruchtet) und als Embryonen transferiert (Embryotransfer, ET).
Durchschnittlich werden international 4,3 Embryonen pro Behandlung transferiert.
Schwangerschaftsraten
Die Schwangerschaftsraten pro Zyklus liegen zwischen 15 und 48 % [1, 2].
Langzeitbeobachtungen zur kindlichen Entwicklung nach IVM
Eine Metaanalyse (Auswertung vieler Studien) von 138 internationalen Studien, darunter 16 prospektive Kohortenstudien (vorausblickende Beobachtungsstudien) mit Daten von über 1.000 Kindern bis zum Alter von zwei Jahren, untersuchte die Sicherheit der IVM im Hinblick auf Schwangerschaftsverlauf und kindliche Entwicklung [3,4]:
- Geburtsgewicht und Fehlbildungsrate: Reif geborene Kinder nach IVM wiesen ein normales Geburtsgewicht auf und zeigten keine erhöhte Fehlbildungsrate (körperliche Fehlentwicklungen) im Vergleich zur klassischen IVF.
- Frühgeburtenrate: Es bestand keine erhöhte Frühgeburtenrate im Vergleich zu anderen ART-Verfahren (Methoden der künstlichen Befruchtung).
- Schwangerschaftskomplikationen: Der Schwangerschaftsverlauf war überwiegend unauffällig. Einzelne Fälle mit Schwangerschaftshypertonie (Bluthochdruck in der Schwangerschaft) wurden berichtet, wobei ein Zusammenhang mit dem zugrunde liegenden polyzystischen Ovarialsyndrom (PCOS) der Mutter angenommen wird.
Diese Daten sprechen für die langfristige Sicherheit der IVM im Hinblick auf neonatalen und maternalen Outcome (Gesundheit von Kind und Mutter).
Isolierter Fortschrittsblock: Das Fertilo-Projekt (OSC-IVM)
Ein translationaler Durchbruch (Übertragung von Grundlagenforschung in die Klinik) wurde durch die Entwicklung des Zellprodukts Fertilo erzielt, das granulosa-ähnliche ovariellen Supportzellen (OSC [unterstützende Eibläschenzellen]) aus human induzierten pluripotenten Stammzellen (hiPSCs [künstlich gewonnene Stammzellen aus Körperzellen]) nutzt. Durch Ko-Kultur (gemeinsame Züchtung) mit unreifen Eizellen gelingt eine reproduzierbare Verbesserung der Reifung in vitro [5].
Klinische Kernbefunde aus der Studie von Paulsen et al. [5]:
- MII-Reifungsrate: 70 ± 7 % (vs. 52 ± 7 % bei klassischer IVM, p=0,0047)
- Euploidie-Rate: 10 ± 3 % (vs. 2 ± 1 %, p=0,004) [Anteil genetisch unauffälliger Embryonen]
- Erste Lebendgeburt nach OSC-IVM mit gesundem weiblichen Neugeborenen
- Keine genetische Kontamination (Einschleusung fremder DNA) nachweisbar in Oozyten oder Embryonen
- GMP-konforme Herstellung (nach pharmazeutischen Standards) mit hoher Prozessstabilität, Reinheit (< 0,1 % Rest-hiPSCs) und Skalierbarkeit (Vergrößerbarkeit)
Das Projekt demonstriert erstmals die klinische Machbarkeit eines hiPSC-abgeleiteten Produktes in der humanen ART mit laufender Vorbereitung einer Phase-3-Zulassungsstudie in den USA [5].
Fazit und Ausblick
Durch verbesserte Techniken und zellbiologische Innovationen rückt die IVM als eigenständige Option für bestimmte Patientinnengruppen wieder in den klinischen Fokus. Das OSC-IVM-Konzept eröffnet ein neues Paradigma (Denkmodell) mit potenziellen Anwendungen bei Fertilitätserhalt, onkologischen Indikationen und hormonempfindlichen Grunderkrankungen. Zukünftige Studien mit größeren Kohorten (Patientengruppen) werden erforderlich sein, um Langzeitdaten hinsichtlich Sicherheit, Effizienz und Lebendgeburtenrate weiter zu validieren.
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Literatur
- Benkhalifa et al.: Natural cycle IVF and oocyte in-vitro maturation in polycystic ovary syndrome: a collaborative prospective study. Reprod BioMed Online 2009;18:29-36 doi: 10.1016/s1472-6483(10)60421-x
- Shalom-Paz et al.: PCOS patients can benefit from in vitro maturation (IVM) of oocytes. Eur J Obstet Gynecol Reprod Biol 2012;165:53-56 doi: 10.1016/j.ejogrb.2012.07.001. Epub 2012 Jul 21.
- Roesner S et al.: Two-year development of children conceived by IVM: a prospective controlled single-blinded study. Human Reproduction, 2017; 32,6:1341-1350 doi: 10.1093/humrep/dex068.
- Strowitzki T et al.: Maternal and neonatal outcome and children’s development after medically assisted reproduction with in-vitro matured oocytes – a systematic review and meta-analysis. Hum Reprod Update. 2020 Dec 30;dmaa056. doi: 10.1093/humupd/dmaa056.
- Paulsen B, Barrachina F, Piechota S et al.: Translation of a human induced pluripotent stem cell-derived ovarian support cell product to a Phase 3 enabling clinical grade product for in vitro fertilization treatment. medRxiv. 2025. doi:10.1101/2025.04.02.25324702
Leitlinien
- S2k-Leitlinie: Diagnostik und Therapie vor einer assistierten reproduktionsmedizinischen Behandlung (ART). (AWMF-Registernummer: 015 - 085), Februar 2019 Langfassung