Sexualstörungen bei Männern und Frauen – Formen, Ursachen, Diagnostik und Therapieoptionen

Sexualstörungen sind häufige Beschwerden in der klinischen Praxis und können alle Phasen der sexuellen Reaktion betreffen – vom Verlangen (Libido) über Erregung und Orgasmus bis hin zur sexuellen Befriedigung. Sowohl biologische als auch psychologische, partnerschaftliche und soziale Einflüsse spielen bei ihrer Entstehung eine Rolle.

Der folgende Beitrag gliedert die häufigsten Sexualstörungen systematisch nach Geschlecht und Funktionsbereich. Dabei werden jeweils typische Ursachen, diagnostische Überlegungen und evidenzbasierte Therapieoptionen dargestellt.

Sexualstörungen beim Mann

  • Libidostörung des Mannes
    Vermindertes sexuelles Interesse stellt eine häufige und oft tabuisierte Störung dar.
    • Endokrine Ursachen: z. B. Testosteronmangel (Mangel an männlichem Sexualhormon), Schilddrüsenfunktionsstörungen (Störungen der Schilddrüsenhormone)
    • Psychogene Ursachen: Depression (Niedergeschlagenheit), chronischer Stress, Partnerschaftskonflikte
    • Medikamentöse Ursachen: z. B. Antidepressiva (Medikamente gegen Depression), Betablocker (Medikamente zur Blutdrucksenkung)
    • Diagnostik: Hormonstatus (Bestimmung der Sexualhormone im Blut), psychosexuelle Anamnese (Gespräch über Sexualität und psychische Aspekte)
    • Therapie: Testosteron-Ersatz (Hormongabe bei Testosteronmangel), kognitive Verhaltenstherapie (psychotherapeutisches Verfahren), Sexualtherapie (Behandlung sexueller Probleme)
  • Erektionsstörung (erektile Dysfunktion)
    Anhaltende Unfähigkeit, eine für den Geschlechtsverkehr ausreichende Erektion (Versteifung des Gliedes) zu erreichen oder aufrechtzuerhalten.
    • Vaskuläre Ursachen: z. B. arterielle Hypertonie (Bluthochdruck), Atherosklerose (Gefäßverkalkung), Diabetes mellitus (Zuckerkrankheit)
    • Neurologische Ursachen: z. B. diabetische Neuropathie (Nervenschädigung bei Diabetes), Rückenmarksverletzungen
    • Psychogene Ursachen: z. B. Versagensängste (Angst vor dem Scheitern), Depression
    • Diagnostik: Farbdopplersonographie (Ultraschalluntersuchung der Durchblutung), Testosteronspiegel (Bestimmung des männlichen Sexualhormons), nächtliche Erektionsmessung (Kontrolle der spontanen nächtlichen Gliedversteifung)
    • Therapie: Phosphodiesterase-5-Hemmer (Medikamente wie Sildenafil zur Erektionsförderung), Injektionstherapie mit Alprostadil (Spritze in den Schwellkörper), Penispumpe (Vakuumhilfen), penile Implantate (künstliche Schwellkörperprothese)
  • Vorzeitiger Samenerguss (Ejaculatio praecox)
    Ejakulation (Samenerguss), die regelmäßig vor oder innerhalb einer Minute nach Penetration auftritt und nicht kontrolliert werden kann.
    • Ursachen: serotonerge Dysregulation (Ungleichgewicht des Botenstoffs Serotonin), Konditionierungsprozesse (erlernte Verhaltensmuster), Ängste
    • Diagnostik: intravaginale Ejakulationslatenzzeit (Messung der Zeit bis zur Ejakulation), psychosexuelle Anamnese
    • Therapie: selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (Medikamente gegen vorzeitigen Samenerguss), lokale Betäubungsmittel (Cremes oder Sprays), Sexualtherapie
  • Orgasmusstörung beim Mann
    Deutlich verzögerter oder ausbleibender Orgasmus (sexueller Höhepunkt) trotz ausreichender Stimulation.
    • Ursachen: z. B. Antidepressiva, neurologische Erkrankungen (Nervenleiden), psychische Hemmungen
    • Therapie: Absetzen auslösender Medikamente, Aufklärung, psychotherapeutische Maßnahmen
  • Penisverkrümmung (Penisdeviation)
    Deutliche Abweichung der Penisschaftachse, meist erworben im Rahmen eines Bindegewebsumbaus (Induratio penis plastica – krankhafte Verhärtung des Penisschwellkörpers).
    • Beschwerden: Schmerzen, Penetrationsprobleme, psychische Belastung
    • Diagnostik: Fotodokumentation, Sonographie mit Plaquedarstellung (Ultraschalluntersuchung mit Darstellung von Verhärtungen)
    • Therapie: konservativ (z. B. Kollagenase-Injektion – Enzym zur Auflösung der Verhärtung), operativ (z. B. Nesbit-Technik – operative Begradigung, Plikatur, Transplantatplastik)

Sexualstörungen bei der Frau

  • Libidostörung der Frau
    Anhaltend verminderte sexuelle Lust ohne organische Ursache.
    • Ursachen: hormonelle Veränderungen (z. B. Östrogenmangel – Mangel an weiblichem Geschlechtshormon, Stillzeit), psychische Belastung, Partnerschaftsprobleme
    • Diagnostik: psychosexuelle Anamnese, Hormonprofil (Bestimmung von Östradiol, Testosteron, Prolaktin im Blut)
    • Therapie: Sexualtherapie, ggf. hormonelle Therapie (lokal oder systemisch), Beziehungsarbeit
  • Orgasmusstörung bei der Frau
    Ausbleiben oder erhebliche Verzögerung des Orgasmus (sexueller Höhepunkt) trotz ausreichender sexueller Erregung.
    • Ursachen: sexuelle Unerfahrenheit, Angststörung, posttraumatische Belastung (z. B. nach Missbrauch)
    • Diagnostik: Gespräch, Fragebögen (z. B. Female Sexual Function Index – standardisierter Fragebogen zur sexuellen Funktion)
    • Therapie: Aufklärung, sensomotorisches Training (Training der Körperwahrnehmung), sexualtherapeutische Intervention
  • Scheidenkrampf (Vaginismus)
    Reflexartige, unwillkürliche Kontraktion der Beckenbodenmuskulatur beim Versuch der vaginalen Penetration (Einführung).
    • Ursachen: frühere traumatische Erfahrungen, Sexualangst, rigide Erziehung
    • Diagnostik: klinischer Tastbefund, psychosomatische Anamnese
    • Therapie: Beckenbodentraining, Desensibilisierung mit Vaginaldilatoren (Spreizer zur Gewöhnung), Psychotherapie
  • Schmerzen beim Geschlechtsverkehr (Dyspareunie)
    Schmerzen während oder nach der Penetration – lokalisiert an Vulva (äußere Geschlechtsorgane), Vagina (Scheide) oder im Becken.
    • Ursachen: z. B. Vulvodynie (chronische Schmerzen im Scheidenvorhof), Endometriose (Gebärmutterschleimhaut außerhalb der Gebärmutter), Atrophie bei Östrogenmangel
    • Diagnostik: gynäkologischer Befund, ggf. Ultraschall, Ausschluss organischer Pathologie
    • Therapie: je nach Ursache topisch (z. B. Östrogencreme), systemisch (z. B. Hormontherapie bei Endometriose), psychosexuell

Sexualpräferenzstörungen

Abweichungen von kulturell akzeptierten Sexualpräferenzen führen nur dann zu einer Diagnose, wenn ein Leidensdruck oder eine Schädigung Dritter vorliegt.

  • Beispiele: Fetischismus (sexuelle Fixierung auf Objekte), Exhibitionismus (Drang, sich nackt zu zeigen), Voyeurismus (Beobachten anderer bei sexuellen Handlungen)
  • Diagnostik: strukturierte Sexualanamnese, ggf. psychologische Exploration
  • Therapie: sexualmedizinische Psychotherapie, kognitive Verhaltenstherapie, medikamentöse Impulskontrolle (z. B. selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer)

Fazit

Sexualstörungen sind ein vielschichtiges, interdisziplinäres Störungsbild mit hohem Leidenspotenzial. Die präzise Diagnostik unter Einbezug somatischer, psychosexueller und partnerschaftlicher Faktoren ist Voraussetzung für eine gezielte Therapie. Eine frühzeitige und tabufreie Ansprache kann die Prognose entscheidend verbessern.