Indirekte Kalorimetrie
Die indirekte Kalorimetrie (indirekte Messung des Kalorienverbrauchs) ist ein nicht-invasives Verfahren der Medizingerätediagnostik zur quantitativen Bestimmung des Energieverbrauchs eines Menschen über die Messung von Sauerstoffverbrauch (VO₂, Sauerstoffaufnahme) und Kohlendioxidabgabe (VCO₂, Kohlendioxidabgabe). Sie dient der präzisen Berechnung des Ruheenergieumsatzes (Resting Energy Expenditure, REE; Kalorienverbrauch in Ruhe) sowie der Substratverwertung (Verwertung von Fetten, Kohlenhydraten und Eiweißen) unter Ruhe- oder Belastungsbedingungen. Die Methode kommt in der klinischen Ernährungstherapie, Intensivmedizin, Sportmedizin und bei Stoffwechselerkrankungen zum Einsatz.
Synonyme
- Respiratorische Gasanalyse (Atemgasanalyse)
- Spirometrische Kalorimetrie (Kalorienmessung über Atemgase)
- Ruhestoffwechselmessung (Messung des Kalorienverbrauchs in Ruhe)
- VO₂/VCO₂-Messung (Messung von Sauerstoffaufnahme und Kohlendioxidabgabe)
Beurteilbare Parameter
- Ruheenergieumsatz (REE)
- Ermittlung des täglichen Energiebedarfs unter Ruhebedingungen
- Grundlage für die individualisierte Ernährungstherapie
- Respiratorischer Quotient (RQ; Verhältnis von Kohlendioxid zu Sauerstoff)
- Verhältnis von VCO₂ zu VO₂
- Interpretation der Substratverwertung (Fett vs. Kohlenhydrate)
- Substratoxidation (Verbrennung von Nährstoffen)
- Differenzierung zwischen Fett-, Kohlenhydrat- und Eiweißverbrennung
- Diagnostik metabolischer Flexibilität (Anpassungsfähigkeit des Stoffwechsels) und Insulinresistenz (verminderte Wirkung von Insulin)
- Gesamtenergieverbrauch unter Belastung (Kalorienverbrauch bei körperlicher Aktivität)
- Erweiterung zur Belastungsanalyse im Rahmen sportmedizinischer Leistungsdiagnostik
Indikationen (Anwendungsgebiete)
- Ernährungsmedizin
- Bestimmung des individuellen Kalorienbedarfs bei Mangelernährung, Adipositas (Fettleibigkeit), Kachexie (krankhafter Gewichtsverlust)
- Anpassung der enteralen/parenteralen Ernährungstherapie (Ernährung über Sonde oder Infusion)
- Intensivmedizin
- Steuerung der Ernährung bei beatmeten Patienten
- Vermeidung von Über- oder Unterernährung
- Stoffwechselerkrankungen
- Diagnostik bei Verdacht auf Hypo- (Unterfunktion) oder Hypermetabolismus (Überfunktion)
- Einschätzung der metabolischen Aktivität bei Schilddrüsenerkrankungen, Diabetes mellitus (Zuckerkrankheit), mitochondrialen Störungen (Störungen der Zellkraftwerke)
- Sportmedizin und Leistungsdiagnostik
- Optimierung der Nährstoffzufuhr und Trainingssteuerung
- Ermittlung der metabolischen Schwellen (Belastungsgrenzen) und Trainingsbereiche
- Anti-Aging- und Präventionsmedizin (medizinische Vorsorge zur Verlangsamung des Alterns)
- Analyse der metabolischen Effizienz (Stoffwechselleistung)
- Erkennung früher Funktionsstörungen im Energiestoffwechsel
Kontraindikationen (Gegenanzeigen)
- Akute respiratorische Insuffizienz (akute Atemschwäche) ohne Beatmung
- Kooperationsunfähigkeit (z. B. bei Bewusstlosigkeit ohne Intubation)
- Technische Unzuverlässigkeit bei Luftleckagen (z. B. bei inkorrekter Maskenpassung)
Vor der Untersuchung
- Mindestens 8 Stunden Nahrungskarenz (nüchtern bleiben)
- Kein Koffein, Alkohol oder Nikotin in den letzten 12 Stunden
- Kein Sport oder körperliche Belastung am Untersuchungstag
- Ruhephase von mindestens 30 Minuten vor Beginn
- Medikamentenanamnese (Abfrage der Medikamente) zur Bewertung möglicher Einflussfaktoren auf den Stoffwechsel
- z. B. Schilddrüsenhormone, Beta-Blocker
Das Verfahren
- Messprinzip
- Die Methode basiert auf der Messung der Gaswechselparameter (VO₂ und VCO₂) über eine Mund-Nasen-Maske oder Spirometrie-Haube (Haube zur Atemgasanalyse).
- Daraus lassen sich Energieverbrauch und Substratverwertung nach der modifizierten Weir-Formel berechnen.
- Durchführung
- Patient liegt entspannt in Rückenlage
- Raumtemperatur konstant (~22-25 °C)
- Messdauer: ca. 20–30 Minuten unter stabilen Bedingungen
- Optional Kombination mit Bioimpedanzanalyse (Messung der Körperzusammensetzung durch elektrischen Widerstand) zur Beurteilung der Körperzusammensetzung
- Störfaktoren
- Hyperventilation (übermäßiges Atmen), Kälte, Angst, Medikamente, Atemlecks
- Akute Infekte oder Entzündungsreaktionen
- Fehlerhafte Kalibrierung des Gasanalysegeräts
Mögliche Befunde
- Normometabolismus (normaler Kalorienverbrauch)
- REE im erwarteten Bereich gemäß Harris-Benedict- oder Mifflin-St. Jeor-Formel (Berechnungsformeln)
- Hypermetabolismus (erhöhter Kalorienverbrauch)
- Erhöhter REE bei Sepsis (Blutvergiftung), Trauma (Verletzung), Hyperthyreose (Schilddrüsenüberfunktion), Tumorerkrankungen
- Hypometabolismus (verringerter Kalorienverbrauch)
- Erniedrigter REE bei hypothyreotem Zustand (Schilddrüsenunterfunktion), Fastenzustand, Mangelernährung
- Abnormer RQ
- RQ < 0,7: vorwiegend Fettverbrennung
- RQ > 1,0: vorwiegend Kohlenhydratverbrennung oder Lipogenese (Fettneubildung)
- Substratverwertungsstörung (Störung im Nährstoffstoffwechsel)
- Hinweis auf metabolische Entgleisung (Stoffwechselstörung), Insulinresistenz oder mitochondrialen Defekt
Nach der Untersuchung
- Ergebnisprotokoll mit Energieumsatz, respiratorischem Quotienten und Substrataufschlüsselung
- Integration in das Ernährungskonzept oder Therapieplan
- Wiederholungsmessung zur Therapiekontrolle bei Bedarf
Literatur
- Weir JB: New methods for calculating metabolic rate with special reference to protein metabolism. J Physiol. 1949;109(1-2):1-9. https://doi.org/10.1113/jphysiol.1949.sp004363
- McClave SA, Lowen CC, Kleber MJ et al.: Clinical use of the respiratory quotient obtained from indirect calorimetry. JPEN J Parenter Enteral Nutr. 2003;27(1):21-26. https://doi.org/10.1177/014860710302700121
- Singer P, Blaser AR, Berger MM et al.: ESPEN guideline on clinical nutrition in the intensive care unit. Clin Nutr. 2019;38(1):48-79. https://doi.org/10.1016/j.clnu.2018.08.037