Qualitative Urin-Protein-Differenzierung
Die quantitative Urin-Protein-Differenzierung stellt einen wesentlichen Bestandteil der nephrologischen Diagnostik (Nierendiagnostik) dar. Sie dient der genauen Quantifizierung und Differenzierung der im Urin ausgeschiedenen Proteinfraktionen (Eiweißbestandteile). Dies ermöglicht die Ätiologieabklärung (Ursachenklärung) einer Proteinurie (krankhafte Eiweißausscheidung im Urin) sowie die Verlaufskontrolle bei Nieren- und Systemerkrankungen.
Grundlagen
Eine Proteinurie (krankhafte Eiweißausscheidung im Urin) kann glomerulären (das Nierenfilter betreffend), tubulären (das Nierenkanälchen betreffend), überlaufbedingten oder postrenalen (hinter der Niere liegenden) Ursprungs sein. Die quantitative Bestimmung der Gesamtproteinurie (Gesamteiweißausscheidung im Urin) in Verbindung mit der Differenzierung der einzelnen Proteinfraktionen erlaubt eine präzise Zuordnung des Schädigungstyps und gibt Hinweise auf das Krankheitsstadium.
Die relevanten Proteinfraktionen umfassen:
- Albumin (kleines Bluteiweiß)
- α1-Mikroglobulin (kleines Eiweißmolekül)
- β2-Mikroglobulin (kleines Eiweißmolekül)
- Immunglobulin G (IgG) (Antikörper der Klasse G)
- Transferrin (Eisen-transportierendes Eiweiß)
- Leichtketten (κ und λ) (Bestandteile von Antikörpern)
- Makroglobuline und andere hochmolekulare Proteine (große Eiweißmoleküle)
Indikationen (Anwendungsgebiete)
- Abklärung und Klassifikation einer Proteinurie (krankhafte Eiweißausscheidung im Urin)
- Verlaufskontrolle bei chronischer Nierenerkrankung (langandauernde Nierenerkrankung)
- Diagnostik bei Verdacht auf glomeruläre (Nierenfilter betreffende) oder tubuläre (Nierenkanälchen betreffende) Schädigung
- Überwachung bei Diabetes mellitus (Zuckerkrankheit; frühe Erkennung der diabetischen Nierenschädigung)
- Differenzierung zwischen orthostatischer (lageabhängiger) und pathologischer (krankhafter) Proteinurie
- Kontrolle nach nierenschädigenden Therapien (zum Beispiel Chemotherapie)
Kontraindikationen (Gegenanzeigen)
- Keine absoluten Kontraindikationen.
- Relative Einschränkungen: akute Infektionen der ableitenden Harnwege oder schwere körperliche Belastung am Vortag können die Ergebnisse verfälschen.
Das Verfahren
Material:
- 24-Stunden-Sammelurin (gesammelter Urin einer ganzen Tagesperiode)
- Spontanurin oder Morgenurin bei spezifischen Fragestellungen (insbesondere Albumin/Kreatinin-Ratio – Verhältnis von Albumin zu Kreatinin zur Abschätzung der Eiweißausscheidung)
Analytische Methoden:
- Gesamtprotein: Pyrogallolrot-, Biuret- oder Turbidimetrie-Methode (verschiedene Labormethoden zur Eiweißbestimmung)
- Albumin: Immunnephelometrie oder -turbidimetrie (Labormethoden zum Nachweis kleiner Eiweißmengen)
- α1- und β2-Mikroglobulin: Immunassays (spezifische Antikörper-Tests)
- IgG und Transferrin: Immunfixationselektrophorese (Trennmethode im Labor) oder immunologische Methoden
- Leichtketten: Freie Leichtketten-Tests (FLC) mittels Immunoassays (spezifische Tests auf kleine Eiweißbestandteile)
Elektrophoretische Verfahren:
-
SDS-PAGE oder Agarose-Gelelektrophorese (Labormethoden zur Auftrennung von Eiweißen) zur Differenzierung der Proteinmuster
Interpretation:
- Selektive glomeruläre Proteinurie: vorwiegend Albumin (kleines Bluteiweiß)
- Nicht-selektive glomeruläre Proteinurie: Albumin, IgG (Antikörper) und Transferrin
- Tubuläre Proteinurie: β2-Mikroglobulin, α1-Mikroglobulin
- Überlaufproteinurie: Leichtketten (bei Multiplem Myelom – Knochenmarkskrebs)
- Postrenale Proteinurie: unspezifisches Proteinmuster, oft mit Hämaturie (Blut im Urin) oder Pyurie (Eiter im Urin) assoziiert
Aktueller Stellenwert im diagnostischen Konzept
Die quantitative Urin-Protein-Differenzierung ist heute ein Standardverfahren in der Nephrologie (Nierenheilkunde) und Inneren Medizin. Sie ergänzt die klassische Urindiagnostik (Untersuchung des Urins mit Teststreifen und Mikroskop) und liefert entscheidende Informationen zur Pathophysiologie (Entstehung und Entwicklung) der Proteinurie. Insbesondere die Früherkennung von Mikroalbuminurie (kleinste Mengen Albumin im Urin) bei Diabetes mellitus (Zuckerkrankheit) und Hypertonie (Bluthochdruck) hat zur frühzeitigen Diagnose und Behandlung von Nierenerkrankungen beigetragen.
Übersichtstabelle mit den typischen Proteinmustern
Proteinurie-Typ | Typisches Proteinmuster | Beispiele/Ätiologie |
---|---|---|
Selektive glomeruläre Proteinurie | Albumin | Frühphase der glomerulären Schädigung (z. B. diabetische Nephropathie) |
Nicht-selektive glomeruläre Proteinurie | Albumin, IgG, Transferrin | Fortgeschrittene glomeruläre Schäden (z. B. membranöse Glomerulonephritis) |
Tubuläre Proteinurie | α1-Mikroglobulin, β2-Mikroglobulin | Akute tubuläre Nekrose, interstitielle Nephritis, toxische Schädigung |
Überlaufproteinurie | Leichtketten (κ und λ), ggf. andere niedermolekulare Proteine | Multiples Myelom, andere Plasmazelldyskrasien |
Postrenale Proteinurie | Unspezifisches Muster, oft mit Albumin und Plasmaproteinen | Harnwegsinfektionen, Urolithiasis (Harnsteine), Tumoren der ableitenden Harnwege |
Hinweis: Die Kombination aus quantitativer Bestimmung und qualitativer Differenzierung (elektrophoretische oder immunologische Verfahren) ermöglicht die Zuordnung zur Schädigungsebene und die ätiologische Eingrenzung.