Craniocorpographie

Bei der Craniocorpographie (CCG) handelt es sich um ein diagnostisches Verfahren der Neurootologie und Arbeitsmedizin, welches zur Beurteilung von Gleichgewichtsfunktionsstörungen entwickelt wurde. Die vestibulo-spinalen Gleichgewichtsprüfung unter Verwendung der Craniocorpographie bietet sowohl die Möglichkeit der weitestgehend objektiven als auch der quantifizierbaren Messung und Auswertung der Gleichgewichtsprüfung.

Zielsetzung der Craniocorpographie 

Die Zielsetzung der Craniocorpographie besteht darin, Gleichgewichtsfunktionsstörungen zu diagnostizieren und zu beurteilen. Durch dieses Verfahren in der Neurootologie und Arbeitsmedizin können objektive und quantifizierbare Messungen und Auswertungen der Gleichgewichtsprüfung vorgenommen werden. Die Craniocorpographie ermöglicht es, vestibulo-spinalen Gleichgewichtsprüfungen durchzuführen, was besonders relevant ist für:

  • Die Bewertung der Gleichgewichtsfunktion in Arbeitsumgebungen mit erhöhtem Sturzrisiko gemäß berufsgenossenschaftlichen Richtlinien.
  • Die Untersuchung von Patienten mit Gleichgewichtsstörungen im Rahmen neurootologischer Diagnostikverfahren.
  • Die Erfassung und Dokumentation von Veränderungen im Gleichgewichtssystem, um mögliche Arbeitsunfälle zu vermeiden und präventive Maßnahmen zu ergreifen.
  • Die Differenzialdiagnose von Störungen des Vestibularsystems, des Kleinhirns und des Hirnstamms.
  • Die Beurteilung der Sicherheit und Eignung von Personen für spezifische berufliche Tätigkeiten, insbesondere solche mit erhöhten Anforderungen an das Gleichgewicht.

Indikation (Anwendungsgebiete)

Das Verfahren der Craniocorpographie dient der neurootologischen Diagnostik, wobei es primär innerhalb der berufsgenossenschaftlichen Richtlinie G-41 „Arbeiten mit Absturzgefahr“ als Untersuchungsmethode eingesetzt wird. Die Craniocorpographie ist somit für Arbeitsplätze mit erhöhter Absturzgefahr vorgesehen.

Kontraindikationen (Gegenanzeigen)

  • Akutdiagnostik bei Hirnstamm- oder Kleinhirninfarkt: In akuten Situationen, wie einem Hirnstamm- oder Kleinhirninfarkt, ist die Craniocorpographie nicht indiziert. Hier werden primär bildgebende Verfahren zur Sofortdiagnostik eingesetzt.

Vor dem Verfahren

  • Keine speziellen Maßnahmen erforderlich: Da es sich um ein nicht invasives Verfahren handelt, sind in der Regel keine speziellen Vorbereitungen vor der Craniocorpographie erforderlich. Es ist jedoch wichtig sicherzustellen, dass die Indikation für die Untersuchung korrekt gestellt wurde.

Das Verfahren

Für die Durchführung und Beurteilung der Craniocorpographie wird während der Untersuchungen ein Helm mit zwei Lampen vom jeweiligen Patienten getragen, wobei zwei zusätzliche Lampen an den Schultern des Patienten befestigt sind. Mithilfe einer Kamera, die sich über dem Patienten befindet, können die Bewegungsmuster präzise aufgezeichnet und anschließend beurteilt werden.

Das Verfahren der Craniocorpographie stellt eine Methode dar, bei der die folgenden klinischen Untersuchungsverfahren beurteilt werden:

  • Unterberger-Tretversuch − Für die Durchführung dieser Methode wird der Patient gebeten, mit geschlossenen Augen 50 Mal auf der Stelle zu treten. Der Befund ist als positiv (klinisch auffällig) zu bewerten, falls sich der Patient im Laufe der Durchführung um mehr als 45 Grad um die eigene Achse dreht. Ein positiver Versuch spricht für eine Kleinhirnläsion oder für eine Schädigung des Vestibularorgans (Gleichgewichtsorgan im Ohr).
  • Romberg-Stehversuch (Synonyme: Romberg-Test; Romberg-Versuch) − Der Romberg-Stehversuch dient als klinischer Test der Untersuchung einer Ataxie (vestibulär, spinal (Rückenmark) oder zerebellär (Kleinhirn)) und kann helfen, zwischen einer spinalen und einer zerebellären Ataxie zu differenzieren.
    Zur Durchführung wird der Patient gebeten, sich mit dicht nebeneinander stehenden Füßen und vorgestreckten Armen hinzustellen und die Augenlider zu schließen.
    Ein positiver Befund (= positives Romberg-Zeichen) bezeichnet eine Verschlechterung der Koordination durch den Schluss der Augenlider. Als Zeichen der Verschlechterung ist ein zunehmendes Schwanken zu erwarten, welches für eine spinale Ataxie spräche.
    Bei einem negativen Befund liegt eine unveränderte Koordination nach Augenschluss vor.
    • Kann der Patient auch mit geöffneten Augen ein Schwanken nur unvollständig oder gar nicht kontrollieren, spricht dies für eine zerebelläre Ataxie.
    • Eine Fallneigung in eine Richtung nach Augenschluss spräche für eine Schädigung des jeweiligen Vestibularorgans.
  • LOLAVHESLIT-Test − Der Name dieser Methode stellt ein Akronym für den "Longitudinal, Lateral, Vertical Head-Sliding Test" dar, welche zur Beurteilung von pathologischen Prozessen im Zusammenhang mit den Halswirbeln, der Wirbelsäule und von Bewegungsstörungen des Nackens genutzt werden kann. 
  • NEFERT-Test − Das Akronym steht für "Neck Flexion Rotation Test", wobei die Methode zur Diagnose von innerkörperlicher Bewegungsunterschieden zwischen dem Kopf und dem restlichen Körper dient, insbesondere an dem Kopfgelenk und der unteren Halswirbelsäule. Der diagnostische Nutzen dieser Methode liegt in der Erkennung von Verstauchungen des Nackens sowie der Diagnose eines "steifen Nackens" und der Mitbeurteilung eines Schleudertraumas.
  • WOFEC-Test − Dieses Akronym steht für "Walk on floor eyes closed", wobei diese Testmethode zur zusätzlichen Beurteilung einer Ataxie eingesetzt werden kann.

Mögliche Befunde

Mögliche Befunde bei der Craniocorpographie können verschiedene Aspekte der Gleichgewichtsfunktion betreffen und Hinweise auf zugrunde liegende Ursachen für Störungen im Gleichgewichtssystem liefern. Zu den möglichen Befunden gehören:

  • Positive Unterberger-Tretversuche: Bei einer Abweichung von mehr als 45 Grad während des Unterberger-Tretversuchs kann dies auf eine Kleinhirnläsion oder eine Schädigung des Vestibularorgans hinweisen.
  • Positives Romberg-Zeichen: Ein positives Ergebnis des Romberg-Stehversuchs, gekennzeichnet durch ein zunehmendes Schwanken nach dem Schließen der Augen, kann auf eine spinale Ataxie hinweisen. Wenn der Patient auch mit offenen Augen Schwanken zeigt, könnte dies auf eine zerebelläre Ataxie hinweisen.
  • LOLAVHESLIT-Test: Diese Methode ermöglicht die Beurteilung von Bewegungsstörungen im Zusammenhang mit den Halswirbeln, der Wirbelsäule und des Nackens. Positive Befunde könnten Hinweise auf Verletzungen, Bewegungseinschränkungen oder pathologische Prozesse im Nackenbereich liefern.
  • NEFERT-Test: Der NEFERT-Test dient der Diagnose von Bewegungsunterschieden zwischen Kopf und Körper, insbesondere im Nackenbereich. Ein positives Ergebnis könnte auf Verstauchungen, Steifheit des Nackens oder Schleudertrauma hinweisen.
  • WOFEC-Test: Diese Testmethode wird durchgeführt, wenn eine zusätzliche Beurteilung einer Ataxie erforderlich ist. Ein positives Ergebnis könnte auf eine beeinträchtigte Balancefunktion hinweisen.

Die Befunde der Craniocorpographie werden gemeinsam mit anderen klinischen Untersuchungsergebnissen und bildgebenden Verfahren wie MRT oder CT interpretiert, um eine umfassende Diagnosestellung zu ermöglichen und geeignete Behandlungs- oder Präventionsmaßnahmen einzuleiten.

Nach dem Verfahren

  • Weitere Verfahren bei pathologischem Befund: Bei einem pathologischen Befund sind in der Regel weiterführende Untersuchungen wie eine Magnetresonanztomographie (MRT) oder Computertomographie (CT) des Schädels oder des Spinalkanals erforderlich.

Literatur

  1. May C: Die Ultraschall-Cranio-Corpo-Graphie als Routine-Test in der neurootologischen Untersuchung. Dissertation, Universität Würzburg 2005
  2. Claussen CF, Gerdes-Götz T, Hald G, Henneken M, Hüdepohl J: Die Bedeutung der Prüfung des Gleichgewichtsorgans in der arbeitsmedizinischen Praxis. Arbeitsmed.Sozialmed.Umweltmed. 2007
  3. Mattle H: Kurzlehrbuch Neurologie. Georg Thieme Verlag 2011
  4. Hufschmidt A: Neurologie compact. Georg Thieme Verlag 2009
  5. Claussen CF, Burkard F: Contemporary and practical neurootology. Neurootologisches Forschungsinst. der 4-G-Forschung e.V, Bad Kissingen 200, ISBN 3-00-016398-0
  6. Fregly AR, Graybiel A, Smith MJ: Walk on floor eyes closed (WOFEC): a new addition to an ataxia test battery. Aerosp Med. 1972. 43(4):395-9