Gicht (Hyperurikämie) – Einleitung

Von Hyperurikämie (HU) spricht man, wenn im Blut eine über die Normwerte erhöhte Konzentration an Harnsäure vorliegt.

Von Gicht spricht man beim Vorliegen einer Arthritis urica (harnsäurebedingte Knochenentzündung) oder topischer Gicht (Gichttophi/Uratablagerung im Weichteil- oder Knorpelgewebe). Gicht zählt zu den Erkrankungen des rheumatischen Formenkreises. Gicht zählt zu den Erkrankungen des rheumatischen Formenkreises.

Gemäß der S2e-Leitinie ist Gicht mit einer Hyperurikämie assoziiert, welche als eine Erhöhung der Serumharnsäure von ≥ 6.8 mg/dl (408 µmol/l) definiert ist [2].

Nachfolgend werden Hyperurikämie und Gicht in einem gemeinsamen Kapitel beschrieben.

Hyperurikämie (HU)

  • Synonyme: Harnsäurestoffwechselstörung
  • ICD-10-GM: E79.0 Hyperurikämie ohne Zeichen von entzündlicher Arthritis oder tophischer Gicht (Asymptomatische Hyperurikämie)
  • Definition: Erhöhte Harnsäurekonzentration im Blut über den Normwerten

Gicht

  • Synonyme: Gichtdiathese, Gout, Omagra, Podagra, Uratnephropathie, Urikopathie
  • ICD-10-GM: M10.9- Gicht, nicht näher bezeichnet
  • Definition: Arthritis urica oder topische Gicht (Gichttophi/Uratablagerung im Weichteil- oder Knorpelgewebe)
  • Gicht zählt zu den Erkrankungen des rheumatischen Formenkreises

Diagnostische Kriterien

Serumharnsäurewerte

  • Gicht assoziiert mit Hyperurikämie: Serumharnsäure von ≥ 6.8 mg/dl (408 µmol/l) gemäß S2e-Leitlinie
  • Frauen vor der Menopause: Hyperurikämie ab Harnsäurewert > 5.7 mg/dl
  • Männer: Hyperurikämie ab Harnsäurewert > 7 mg/dl
  • Internationale Literatur: Hyperurikämie ab Harnsäurekonzentration > 6.5 mg/dl (> 390 μmol/dl)

Formen der Hyperurikämie

Primäre Hyperurikämie

  • Ursache klinisch nicht nachweisbar
  • Häufigste Form, scheint polygen vererbt zu werden
  • Beispiele:
    • Störung der renalen Harnsäureexkretion: 99 % der Fälle, Wohlstandserkrankung
    • Gesteigerte Synthese von Harnsäuren bei Enzymdefekten: z. B. Mangel des Enzyms Hypoxanthin-Guanin-Phosphoribosyltransferase (HGPRTase), < 1 %

Sekundäre Hyperurikämie

  • Folge anderer Erkrankungen oder Störungen
  • Verminderte renale Harnsäureausscheidung
    • Beispiel: Chronische Niereninsuffizienz
  • Vermehrte Harnsäurebildung
    • Beispiel: Hämoblastosen (z. B. Leukämien), hohe Purinaufnahme über Nahrung (Fleisch, Bohnen)

Ursachen der Hyperurikämie

  • Primäre familiäre Hyperurikämie (idiopathische oder familiäre Hyperurikämie):
    • Störung der renalen Harnsäureexkretion – 99 % der Fälle; scheint polygen vererbt zu werden und kommt recht häufig vor (Wohlstandserkrankung)
    • Gesteigerte Synthese von Harnsäuren bei einem definierten Enzymdefekt (z. B. ein Mangel des Enzyms Hypoxanthin-Guanin-Phosphoribosyltransferase; kurz HGPRTase) < 1 %
  • Sekundäre Hyperurikämie – erworben als Folge:
    • Verminderte renale Harnsäureausscheidung: z. B. chronische Niereninsuffizienz (Prozess, der zu einer langsam fortschreitenden Verringerung der Nierenfunktion führt)
    • Vermehrte Harnsäurebildung: z. B. Hämoblastosen (Sammelbegriff für bösartige Erkrankungen des blutbildenden Systems, z. B. Leukämien) oder zu hohe Purinaufnahme über die Nahrung (Fleisch, Bohnen)

Symptomatische Hyperurikämie

Die symptomatische Hyperurikämie mit Ablagerung von Uratkristallen in Gelenken, Gewebe bzw. Organen wird als Gicht bezeichnet.
Die Gichtarthritis ist die häufigste Form der Arthritis in Deutschland.

Epidemiologie

Geschlechterverhältnis: Männer zu Frauen beträgt 4 : 1 bis 9 : 1. Frauen vor der Menopause sind durch die urikosurischen (die Harnsäureausscheidung fördernden) Östrogene geschützt.

Häufigkeitsgipfel: Das Maximum des Auftretens der Gicht liegt bei Männern im 40. Lebensjahr, bei Frauen um das 50. bis 60. Lebensjahr.
Der Altersdurchschnitt für den ersten Gichtanfall liegt bei Männern zwischen dem 30. und 45. Lebensjahr, bei Frauen zwischen dem 50. und 60. Lebensjahr. 

Prävalenz (Krankheitshäufigkeit) für Hyperurikämie: Liegt bei 20 % und für Gicht bei Männern bei 1-2 % (in den westlichen Ländern). Die Prävalenz für Gicht ist abhängig vom Alter und vom Geschlecht und zeigt weltweit einen Anstieg. In der Gruppe der über 65-Jährigen liegt die Prävalenz für die symptomatische Gicht bei 7 %. Hingegen steigt die Häufigkeit der Gicht bei Frauen erst ab einem Alter von 85 Jahren an (2,8 %) [4]. In den Wohlstandsländern haben ca. 20 % der Männer eine Hyperurikämie.

Verlauf und Prognose

Verlauf

Eine langjährig bestehende Hyperurikämie kann entweder symptomlos verlaufen oder aber aufgrund der Abscheidung von Harnsäurekristallen in verschiedenen Körpergeweben zu Gicht führen. Die Entwicklung einer Gicht aus einer Hyperurikämie verläuft typischerweise in mehreren Stadien:

  • Asymptomatische Hyperurikämie: Erhöhte Harnsäurespiegel im Blut ohne Symptome. Viele Patienten bleiben in diesem Stadium und entwickeln nie Gicht.
  • Akuter Gichtanfall: Plötzlicher Beginn von starken Schmerzen, Rötung und Schwellung in einem oder mehreren Gelenken. Am häufigsten betroffen ist das Großzehengrundgelenk (Podagra).
  • Interkritisches Stadium: Zwischen den Anfällen sind die Patienten beschwerdefrei. Die Dauer dieses Stadiums kann variieren, aber ohne Behandlung werden die Anfälle in der Regel häufiger und schwerer.
  • Chronische Gicht: Bei wiederholten Gichtanfällen und unzureichender Behandlung können sich Tophi (Harnsäureablagerungen in Weichteilen) und chronische Gelenkschäden entwickeln. Dies führt zu anhaltenden Schmerzen, Gelenkverformungen und Bewegungseinschränkungen.

In einer Studie entwickelten nur 22 % der Betroffenen mit Harnsäurewerten ≥ 9 mg/dl (535 µmol/l) einen Gichtanfall innerhalb von 5 Jahren [5].

Prognose

Die Prognose bei Hyperurikämie und Gicht hängt stark von der rechtzeitigen Diagnosestellung und konsequenten Behandlung ab:

  • Früherkennung und Behandlung: Je früher die Hyperurikämie erkannt und behandelt wird, desto besser ist die Prognose. Frühzeitige Interventionen können Gichtanfälle verhindern und das Fortschreiten der Erkrankung stoppen.
  • Komplikationen bei chronischem Verlauf: Ohne adäquate Behandlung kann die Gicht chronisch werden und zu schweren Komplikationen führen:
    • Arthritis urica: Harnsäureablagerungen in den Gelenken führen zu chronischen Entzündungen und Gelenkschäden.
    • Nierenbeteiligung: Hyperurikämie kann zu Nierensteinen (Nephrolithiasis) und chronischen Nierenschäden (Uratnephropathie) führen. In schweren Fällen kann eine Dialyse erforderlich werden.
    • Kardiovaskuläre Risiken: Männer mit Gichtarthritis haben ein erhöhtes Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen wie koronare Herzkrankheit (KHK; Herzkranzgefäßerkrankung), Myokardinfarkt (Herzinfarkt) und Schlaganfall.
  • Langzeitprognose: Patienten, die nach einem ersten Gichtanfall nicht harnsäuresenkend behandelt werden, erleben häufig Rückfälle: 62 % der Patienten haben innerhalb des ersten Jahres einen weiteren Anfall, 78 % innerhalb von zwei Jahren und 89 % innerhalb von fünf Jahren [3].

Komorbiditäten

Gicht ist häufig mit anderen Erkrankungen assoziiert, die die Prognose verschlechtern können:

  • Diabetes mellitus Typ 2 [1].
  • Kardiovaskuläre Erkrankungen: Koronare Herzkrankheit (KHK; Herzkranzgefäßerkrankung), Herzinsuffizienz (Herzschwäche), Vorhofflimmern (VHF) [2].
  • Nephrologische Erkrankungen: Niereninsuffizienz (Nierenschwäche), Nephrolithiasis (Nierensteine) [2].
  • Fettstoffwechselstörungen: Hypercholesterinämie (erhöhte Cholesterinwerte), Hypertriglyzeridämie (erhöhte Triglyceridwerte) [2].
  • Osteoporose/Osteopenie: Insbesondere durch Glucocorticoid-Behandlung [2].
  • Atemwegserkrankungen: Asthma bronchiale, chronisch-obstruktive Lungenerkrankung (COPD), chronisches Vorhofflimmern (VHF) [6].

Literatur

  1. Kim SC, Liu J, Solomon DH: Risk of incident diabetes in patients with gout: A cohort study. Arthritis Rheumatol. 2014 Oct 20. doi: 10.1002/art.38918
  2. S2e-Leitlinie: Gichtarthritis – fachärztliche Versorgung. (AWMF-Registernummer: 060-005), April 2016 Langfassung
  3. McGill NW: Gout and other crystal-associated arthropathies. Baillieres Best Pract Res Clin Rheumatol, 2000. 14(3): p. 445-60
  4. Mikuls TR et al.: Gout epidemiology: results from the UK General Practice Research Database, 1990-1999; Ann Rheum Dis, 2005; 64 (2): p. 267-72
  5. Campion EW, Glynn RJ, DeLabry LO: Asymptomatic hyperuricemia. Risks and consequences in the Normative Aging Study. Am J Med, 1987. 82 (3): p. 4, 21-6
  6. Lu D, Zhang J, Ma C et al.: Link between community-acquired pneumonia and vitamin D levels in older patients. Z Gerontol Geriatr. 2017 May 5. doi: 10.1007/s00391-017-1237-z.

Leitlinien

  1. Khanna D, Fitzgerald JD, Khanna PP et al.: American College of Rheumatology guidelines for management of gout. Part 1: systematic nonpharmacologic and pharmacologic therapeutic approaches to hyperuricemia. Arthritis Care Res (Hoboken). 2012 Oct;64(10):1431-46. doi: 10.1002/acr.21772.
  2. S1-Leitlinie: Gicht: Akute Gicht in der hausärztlichen Versorgung. (AWMF-Registernummer: 053-032b), September 2013 Kurzfassung Langfassung
  3. S2e-Leitlinie: Gichtarthritis - fachärztliche Versorgung. (AWMF-Registernummer: 060-005), April 2016 Langfassung
  4. S2e-Leitlinie: Gicht: Häufige Gichtanfälle und Chronische Gicht. (AWMF-Registernummer: 053-032a), März 2019 Langfassung