Ursachen
Diabetische Polyneuropathie

Pathogenese (Krankheitsentstehung)

Die Pathophysiologie der diabetischen Polyneuropathie ist noch nicht vollständig geklärt. Als bewiesen gelten jedoch mehrere Faktoren, die die Nerven angreifen und schädigen:

  • Mikroangiopathie (Erkrankung der kleinen Blutgefäße) der Vasa nervorum (kleine Blutgefäße, die die Nerven versorgen)
  • Direkte metabolisch-toxische Schädigung der Neuronen durch verschiedene Stoffe (wie Sorbit und Fructose), die beim Glucose-Stoffwechsel entstehen, sowie durch Sauerstoffradikale [1]. 
  • Inflammatorische Prozesse (Entzündungsprozesse): Durch die Bildung von „advanced glycation end-products“ (AGE) und mitochondriale Dysfunktion entsteht oxidativer Stress mit der Folge, dass es zu DNA-Schäden und somit auch zu Zellnekrosen (Zelltod) kommt.
  • Dysfunktionale Schwann-Zell-Interaktion

Die Schädigung zeigt sich als Demyelinisierung (Entmarkung der Nerven) und Degeneration der Nervenzellen.

Die diabetische Neuropathie wird unterteilt in:

  • periphere sensomotorische diabetische Polyneuropathie (Synonym: diabetische sensomotorische Polyneuropathie, DSPN): Die Verteilung bei dieser Polyneuropathie ist distal und symmetrisch (Hände und Füße sind betroffen) (distal-symmetrische Polyneuropathie); typische Symptome sind: Parästhesien (Missempfindungen) und neurogene Schmerzen. Des Weiteren Verminderung von Berührungs-, Schmerz- und Temperaturempfinden sowie abgeschwächter oder fehlender Achillessehnenreflex (ASR, auch Triceps-surae-Reflex); im Spätstadium auftreten von Lähmungen 
  • autonome diabetische Neuropathie (ADN; autonome Neuropathie): hier sind betroffen:
    • kardiovaskulären System (Herzkreislaufsystem) im Sinne einer kardiovaskulären autonomen diabetischen Neuropathie (KADN); Symptome: Tachykardie (zu schneller Herzschlag: > 100 Schläge pro Minute), orthostatische Hypotonie (niedriger Blutdruck), fehlende respiratorische Variabilität der Herzfrequenz → Kardiovaskuläre autonome Neuropathie (KADN)
    • Gastrointestinaltrakt/Magen-Darm-Trakt; Symptome: verlangsamte Magenentleerung mit Gastroparese (Magenlähmung) bzw. diabetischer Diarrhoe (Durchfall) → autonome Neuropathie am Gastrointestinaltrakt
    • Urogenitaltrak: diabetische Zystopathie (diabetische Harnblasenerkrankung; Blasenentleerungsstörung); Symptome: Blasenatonie (Schlaffheit der Blasenmuskulatur), Miktionsstörungen (Blasenfunktionsstörung) erektile Dysfunktion (ED; Erektionsstörungen) → autonome Neuropathie am Urogenitaltrakt
    • Neuroendokrines System: fehlende Katecholaminausschüttung (Noradrenalin und Dopamin sowie Adrenalin und deren Derivate) bei Orthostase (Fähigkeit den Blutdruck in aufrechter Lage anzupassen) und Belastung; fehlende Gegenregulation bei Hypoglykämie (Unterzuckerung) → autonome Neuropathie des neuroendokrinen Systems
    • Gestörte Pupillenreflexe (verlangsamte Mydriasis = ein- oder beidseitige Weitstellung der Pupille)
    • Abnahme der Schweißsekretion; Symptome: trockene Füße
  • fokale Neuropathie; hier Ausfälle einzelner peripherer und radikulärer Nerven auf Grund von Infarkten der Vasa nervorum. Dieses führt u. a. zu Hirnnervenparesen (III, IV, VII), zur diabetische Amyotrophie (meist unilateral (einseitig) auftretenden obere lumbosakrale Plexopathie, LSP; Schmerzsyndrom) und Mononeuritis multiplex (sensorische Störungen und Schwächen in der Verteilung von ≥ 2 betroffen peripheren Nerven).
    Die häufigste diabetische fokale Neuropathie ist die lumbosakrale Plexusneuropathie (diabetische Amyotrophie), die meist einseitig auftritt und zu einer Schwäche im Bein mit Muskelschwund führt. Symptome sind heftige Schmerzen an Oberschenkel, Gesäßhälfte oder Bein.

Inzwischen konnte zudem nachgewiesen werden, dass die Veränderungen nicht nur an den peripheren Nerven stattfinden, sondern dass es auch im ZNS (zentralen Nervensystem) zu strukturellen Veränderungen kommt. Bildgebende Verfahren zeigen beispielsweise umschriebene Atrophien im Rückenmark und mittels MR-Spektroskopie lassen sich auch neuronale Dysfunktionen (Fehlfunktionen) im Thalamus (Zwischenhirn) nachweisen [2].

Ätiologie (Ursachen)

Biographische Ursachen

  • Lebensalter – mit zunehmendem Alter 

Verhaltensbedingte Ursachen

  • Ernährung
    • Mikronährstoffmangel (Vitalstoffe) – siehe Prävention mit Mikronährstoffen
  • Genussmittelkonsum
    • Alkohol
    • Tabak (Rauchen); mäßig ausgeprägte Assoziation zwischen Rauchen und einer diabetischen peripheren Neuropathie (DPN) [3]
  • Körperliche Aktivität
    • Mangelnde körperliche Aktivität
  • Androide Körperfettverteilung, das heißt abdominales/viszerales, stammbetontes, zentrales Körperfett (Apfeltyp) – es liegt ein hoher Taillenumfang bzw. ein erhöhter Taille-Hüft-Quotient (THQ; englisch: waist-to-hip-ratio (WHR)) vor; vermehrtes Bauchfett wirkt stark atherogen und fördert inflammatorische Prozesse ("Entzündungsprozesse")
    Bei der Messung des Taillenumfangs gemäß der Richtlinie der International Diabetes Federation (IDF, 2005) gelten folgende Normwerte:
    • Männer < 94 cm
    • Frauen < 80 cm
    Die Deutsche Adipositas-Gesellschaft veröffentlichte 2006 etwas moderatere Zahlen für den Taillenumfang: 102 cm bei Männern und 88 cm bei Frauen.

Krankheitsbedingte Ursachen, inkl. Risikofaktoren und Komorbiditäten (Begleiterkrankungen) für die Entwicklung einer diabetischen Polyneuropathie [mod. nach 4]

  • Diabetes mellitus (lange Dauer, schlechte Einstellung (Hyperglykämie/Unterzuckerung); ggf. schon Vorliegen einer Retino- und Nephropathie)
  • Arterielle Hypertonie (Bluthochdruck)
  • Depression
  • Dyslipidämie/Hyperlipidämie (Fettstoffwechselstörung)
  • Mediasklerose (von Mönckeberg) oder Mediakalzinose (Verkalkung der mittleren Wandschicht (Tunica media) der Extremitätenarterien)
  • Periphere arterielle Verschlusskrankheit (pAVK; fortschreitende Stenosierung (Verengung) bzw. Okklusion (Verschluss) der die Arme/ (häufiger) Beine versorgenden Arterien, meist aufgrund einer Atherosklerose (Arteriosklerose, Arterienverkalkung))

Labordiagnosen – Laborparameter, die als unabhängige Risikofaktoren gelten

  • Hyperglykämie (Überzuckerung wg. schlechter Einstellung des Glucose-Serumspiegels (Blutzuckerwerte))

Weiteres

  • Therapieinduzierte Neuropathie durch übermäßig rasche Korrektur des HbA1c-Wertes/Blutzuckerlangzeitwert (d. h. um > 2 % während dreier Monate); dadurch können vermehrt neuropathische Schmerzen sowie Symptome einer autonome Neuropathie auftreten [5].

Literatur

  1. Hilz MJ, Martho H, Neundörfer B: Diabetische somatische Polyneuropathie. Pathogenese, klinische Manifestationsformen und Therapie-Konzepte. Fortschr Neurol Psychiatr 2000; 68(6): 278-288. doi: 10.1055/s-2000-11535
  2. Selvarajah D et al.: Magnetic Resonance Neuroimaging Study of Brain Structural Differences in Diabetic Peripheral Neuropathy. Diabetes Care. 2014 Jun;37(6):1681-8. doi: 10.2337/dc13-2610
  3. Clair C et al.: The Effect of Cigarette Smoking on Diabetic Peripheral Neuropathy: A Systematic Review and Meta-Analysis. J Gen Intern Med, online 7. Mai 2015; doi: 10.1007/s11606-015-3354-y
  4. Papanas N, Ziegler D: Risk factors and comorbidities in diabetic neuropathy: an update 2015 Spring-Summer;12(1-2):48-62. doi: 10.1900/RDS.2015.12.48. Epub 2015 Aug 10.
  5. Stainforth-Dubois M et al.: Treatment-induced neuropathy of diabetes related to abrupt glycemic control. CMAJ 2021;193:E1085-88. https://doi.org/10.1503/cmaj.202091
     
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