Psychoedukation

Der Begriff Psychoedukation stammt aus dem Amerikanischen und setzt sich aus den beiden Begriffen „psychotherapy“ und „education“ zusammen. Der englische Begriff „psychotherapy“ wird dabei wörtlich in die deutsche Sprache übernommen, das Wort „education“ wird in diesem Zusammenhang nicht mit „Erziehung“ übersetzt, sondern umfasst Aufklärung, Wissensvermittlung und Bildung.

Unter Psychoedukation werden systematische didaktisch-psychotherapeutische Interventionen zusammengefasst, die dazu dienen, Patienten und ihre Angehörigen über die Krankheit und ihre Behandlung zu informieren, das Krankheitsverständnis und den selbstverantwortlichen Umgang mit der Krankheit zu fördern und sie bei der Krankheitsbewältigung zu unterstützen. Insgesamt soll Hilfe zur Selbsthilfe angeboten werden. (Bäuml J.& Pitschel-Walz, 2003).

Der Begriff Psychoedukation tauchte erstmals in den Achtzigerjahren des letzten Jahrhunderts auf. C. M. Anderson und seine Mitarbeiter bezeichneten mit Psychoedukation im Jahre 1980 eine Familienintervention bei schizophrenen Patienten. Ziel dieser Intervention war eine umfassende Aufklärung der Patienten und ihrer Familien über die Erkrankung, mit dem Ziel, die Rückfallquote zu senken und dadurch eine Verbesserung des Krankheitsverlaufes zu erreichen. In Deutschland fanden sich zu dieser Zeit nur in einzelnen psychiatrischen Einrichtungen sogenannte "informationszentrierte" Gruppen. Professionell geführte Gruppen zur Anleitung von Patienten und Angehörigen entwickelten sich erst Ende des letzten Jahrhunderts. Die "Deutsche Gesellschaft für Psychoedukation" wurde am 14. November 2006 unter der Leitung von Privatdozent Dr. Josef Bäuml gegründet. Ziel dieser Gesellschaft ist die Förderung und Verbreitung der Psychoedukation im deutschsprachigen Raum. Die Gesellschaft führt jedes Jahr einen Kongress zur Psychoedukation an verschiedenen Orten Deutschlands durch. Im Mittelpunkt stehen nach wie vor die psychischen Erkrankungen, vor allem schwere psychotische und schizophrene Störungen. In Deutschland wird Psychoedukation vorwiegend von Institutionen durchgeführt, da niedergelassenen Ärzten zu wenige Ressourcen für diese Form der Intervention zur Verfügung stehen.

Hauptanliegen der Psychoedukation ist die Erweiterung des Krankheitswissens.
Die oben genannte Definition der Psychoedukation bezieht sich nahezu ausschließlich auf psychische Erkrankungen, insbesondere schwere psychotische und schizophrene Störungen, sowie depressive Erkrankungen. Die Prinzipien der Psychoedukation können auf alle anderen Erkrankungen mit leichten Veränderungen angewendet werden. So gehört die Schulung von Diabetikern zum Umgang mit ihrer Krankheit im weitesten Sinne ebenfalls zur Psychoedukation, denn auch hier gelten die unten genannten Prinzipien und Ziele.

Ziele der Psychoedukation

  • Verkürzung der Krankheitsdauer
  • Linderung der Symptome
  • Verminderung der Rückfallhäufigkeit
  • Eine möglichst umfassende Information der Patienten und der betroffenen Familien über die Erkrankung, deren Verlauf und Ursache sowie der Therapiemöglichkeiten
  • Förderung der Compliance (kooperatives Verhalten im Rahmen der Therapie)
  • Förderung der Zusammenarbeit mit dem Therapeuten
  • Emotionale Entlastung der Betroffenen und ihrer Familien
  • Förderung der Zuversicht und Kompetenz des Patienten, die eigenen Probleme bewältigen zu können
  • Verbesserung der sozialen Bedingungen des Kranken (Stigmatisierung bei psychischen Störungen)
  • Förderung der Sicherheit im Umgang mit der Erkrankung

Wirkungen der Psychoedukation

  • Verbesserung des Verständnisses der eigenen Erkrankung und der damit verbundenen Symptome.
  • Erhöhung der Compliance und Kooperationsbereitschaft in der Therapie.
  • Stärkung der Selbsthilfekompetenzen der Patienten und ihrer Angehörigen.
  • Vorbeugung von Rückfällen durch bessere Krankheitseinsicht und Krisenmanagement.
  • Emotionaler Rückhalt und Entlastung für Betroffene und ihre Familien.
  • Verringerung von Stigmatisierung und Förderung der sozialen Integration.

Indikationen (Anwendungsgebiete)

Alle Patienten mit psychischen Erkrankungen sind gleichermaßen für Psychoedukationsmaßnahmen geeignet. Dabei stellen die psychotischen und schizophrenen Krankheitsbilder eine besondere Herausforderung für die Therapeuten dar, weil hier sehr häufig die Einsicht in die Notwendigkeit von Therapie überhaupt und in die Krankheitsdynamik fehlt.

Kontraindikationen (Gegenanzeigen)

  • Fehlende Bereitschaft oder Fähigkeit des Patienten oder der Angehörigen, sich auf den psychoedukativen Prozess einzulassen.
  • Akute psychotische Zustände oder schwere psychische Krisen, die eine intensivere Behandlung erfordern.

Vor der Therapie

  • Ermittlung des individuellen Informationsbedarfs und des Wissensstandes der Patienten und Angehörigen.
  • Klärung der Ziele und Erwartungen der Beteiligten an die Psychoedukation.
  • Vorbereitung des Materials und der Inhalte, die auf die spezifischen Bedürfnisse der Teilnehmer abgestimmt sind.

Das Verfahren

In den einschlägigen Fachgesellschaften wird die Frage, ob Psychoedukation eine eigenständige Therapieform ist oder ein Untergebiet der Psychotherapie darstellt, kontrovers diskutiert.
Psychoedukation erhalten Patienten mit Schizophrenie, Depression, Angststörungen, psychotischen Episoden- sowie Ess- und Persönlichkeitsstörungen. Familienangehörige zählen gleichermaßen zur Zielgruppe der Psychoedukation.
Wesentliches Ziel dieser Trainingsmethoden ist, den Patienten ein besseres Verständnis ihrer Erkrankung zu vermitteln. Dieses vertiefte Verständnis lässt die notwendigen Therapiemaßnahmen effektiver und wirkungsvoller werden. Durch die Schulung der Familienangehörigen wird ein besseres Verständnis der zugrunde liegenden auffälligen Verhaltensweisen innerhalb der Familie erreicht und die Akzeptanz der Patienten und ihrer Gesundheitsstörungen gefördert, was wiederum zu einer schnelleren Heilung führt. Sowohl die Patienten selbst, als auch ihre Angehörigen können so Rückfälle vermeiden und ihre Lebensqualität wesentlich verbessern.
Im Sinne der Definition von Psychoedukation werden verschiedene Techniken und Verfahren aus fast allen Bereichen der Psychotherapie angewendet. Am Beginn einer Therapie geht es vor allem um Informationsvermittlung über die Krankheit und über die Therapiemöglichkeiten. Bei den Interventionen wird auf ein Gleichgewicht von Theorie über die Krankheit und der subjektiven Sicht des Patienten geachtet.
Kognitive*, psychomotorische und affektive** Therapieeinheiten werden gleichermaßen angewendet.

*Zu den kognitiven Fähigkeiten eines Menschen zählen zum Beispiel die Aufmerksamkeit, die Erinnerung, das Lernen,
das Planen, die Orientierung, die Kreativität, die Introspektion, der Wille, das Glauben und vieles mehr.
**Ein Verhalten wird als affektiv (synonym: emotional) bezeichnet, das überwiegend von der Gemütserregung und weniger von kognitiven Prozessen bestimmt wird.

Inhalte der Psychoedukation

  • Aufklärung über Symptome und Verlauf der Erkrankung
  • Besprechung der Diagnose, Identifizierung der Ursachen der Erkrankung
  • Besprechung der Therapiemöglichkeiten (medikamentöse Behandlung, psychosoziale Behandlung, Psychotherapie)
  • Warnzeichenerkennung für eine drohende Verschlimmerung der Erkrankung.
  • Planung von Krisenintervention bei eintretender Verschlechterung
  • Schulung der Angehörigen im Umgang mit der Krankheit

Psychoedukationsmaßnahmen können sowohl in Einzelsitzungen mit den Patienten und Familienangehörigen als auch in einer Gruppensitzung durchgeführt werden. In der Regel wird ein Curriculum von acht Sitzungen empfohlen (Wolfisberg, 2009):

  1. Begrüßung und Erläuterung des Programms
  2. Erklärung der Krankheitsbegriffe, der Symptomatik und der Diagnostik
  3. Erklärung der Zusammenhänge von Neurobiologie und Psyche
  4. Einführung in Stressbewältigungsprogramme
  5. Medikamentöse Therapie und Nebenwirkungen
  6. Psychotherapie und psychosoziale Interventionen
  7. Rezidivprophylaxe (Maßnahmen, die dazu dienen, das Wiederauftreten einer Krankheit nach Abheilung zu vermeiden), Krisenplan
  8. Ausblick in die Zukunft

Nach der Therapie

  • Bewertung des Wissenstransfers und der Anwendung der erlernten Inhalte im Alltag.
  • Planung von weiterführenden Maßnahmen oder Auffrischungskursen.
  • Unterstützung bei der Implementierung von Krisenplänen und Selbsthilfestrategien.

Mögliche Komplikationen

Frühkomplikationen

  • Überforderung oder Informationsüberlastung der Teilnehmer.
  • Widerstand oder Abwehr gegenüber den vermittelten Inhalten.

Spätkomplikationen

  • Unzureichende Umsetzung der erlernten Strategien im Alltag.
  • Mögliche Enttäuschung, falls die Erwartungen an die Psychoedukation nicht erfüllt werden.

Psychoedukation ist ein zentraler Bestandteil der modernen psychosozialen Behandlung und spielt insbesondere bei der Unterstützung von Patienten mit chronischen oder schweren psychischen Erkrankungen eine wichtige Rolle. Sie stärkt die Selbstwirksamkeit und das Krankheitsmanagement und trägt zur Verbesserung der Lebensqualität bei.

Literatur

  1. Anderson CM,  Hogarty GE: Schizoprenia and the Family: A Practitioner`s Guide to Psychoeducation and Management. Guilford Family Therapy Series. Guilford Pubn 1986
  2. Behrendt B, Schaub A: Handbuch Psychoedukation und Selbstmanagement: Verhaltenstherapeutische Ansätze für die klinische Praxis. Dgvt-Verlag 2005 ISBN-13: 978-3871590559
  3. Rummel C, Pitschel-Walz G, Kissling W: Angehörige informieren Angehörige“-Angehörige als Gruppenleiter für psychoedukative Gruppen bei Schizophrenie. Psychiat Prax 2005; 32: 87-92
  4. Wolfisberg N: Psychoedukation. Seminar: Schizophrenie: Intervention 28.April 2009.
  5. Rabovsky K, Stoppe G: Diagnoseübergreifende und multimodale Psychoedukation: Manual zur Leitung von Patienten- und Angehörigengruppen. Urban & Fischer Verlag 2008 ISBN-13: 978-3437247200

Leitlinien

  1. S3-Leitlinie: Psychosoziale Therapien bei schweren psychischen Erkrankungen. (AWMF-Registernummer: 038 - 020), Oktober 2018 Kurzfassung Langfassung
     
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