Kryokonservierung

In der Fortpflanzungsmedizin versteht man unter Kryokonservierung (griech. κρύος, krýos „Kälte“ und lat. conservare „erhalten, bewahren“) das Aufbewahren von Spermien (Samenzellen), Hodengewebe, Ovargewebe, Eizellen und befruchteten Eizellen im Vorkernstadium durch Einfrieren in flüssigem Stickstoff. Mithilfe dieses Verfahrens ist es möglich, die Vitalität der Zellen nahezu unbegrenzt aufrechtzuerhalten:

Die Kryokonservie­rung wird angeboten:

  • als fertilitätserhaltende Maßnahme von onkologischen Patienten/Tumorpatienten (hier: Spermien, Hodengewebe, Ovargewebe und Eizellen)
  • um die Implan­tation (Einpflanzung) des Embryos „physiologischer“ zu gestalten; dieses hat die Erfolgs­chancen einer In-vitro-Fertilisation (IVF; künstliche Befruchtung im Reagenzglas) jedoch nicht verbessert [1].

Das Verfahren

Spermien

  • Gewinnung: Spermien (Samenzellen) werden üblicherweise durch Masturbation gewonnen, können aber auch chirurgisch aus dem Hodengewebe extrahiert werden.
  • Verarbeitung: Das frische Sperma wird zunächst im Labor analysiert und aufbereitet. Dies beinhaltet die Konzentration der Spermien und die Entfernung von Verunreinigungen.
  • Kryoprotektive Zusätze: Dem Sperma werden kryoprotektive Substanzen zugesetzt, die Zellschäden während des Einfrier- und Auftauprozesses verhindern.
  • Einfrieren: Das vorbereitete Sperma wird in flüssigem Stickstoff bei Temperaturen von etwa –196 Grad Celsius eingefroren.
  • Lagerung: Die eingefrorenen Spermienproben werden in speziellen Behältern aufbewahrt, bis sie benötigt werden.

Hodengewebe

  • Gewinnung: Hodengewebe wird chirurgisch entnommen, oft unter Vollnarkose.
  • Vorbereitung: Das Gewebe wird in kleinere Stücke geschnitten und für das Einfrieren vorbereitet.
  • Kryoprotektion: Ähnlich wie bei Spermien wird eine kryoprotektive Lösung zugesetzt.
  • Einfrieren und Lagerung: Das Gewebe wird eingefroren und bei extrem niedrigen Temperaturen gelagert.

Ovargewebe

  • Entnahme: Ovargewebe (Eierstockgewebe) wird chirurgisch entnommen und in kleinere Stücke zerteilt.
  • Kryoprotektion: Die Gewebestücke werden in einer kryoprotektiven Lösung behandelt.
  • Einfrierprozess: Die behandelten Gewebeproben werden schrittweise auf –196 Grad Celsius abgekühlt und gelagert.

Eizellen

  • Entnahme: Eizellen werden im Rahmen einer hormonellen Stimulation und anschließender Eizellentnahme gewonnen.
  • Kryoprotektion: Vor dem Einfrieren werden die Eizellen in einer kryoprotektiven Lösung inkubiert.
  • Vitrifikation: Im Gegensatz zum langsamen Einfrieren wird oft die schnelle Einfriermethode der Vitrifikation verwendet, um Eiskristallbildung zu vermeiden.
  • Lagerung: Die Eizellen werden in Stickstoff gelagert.

Befruchtete Eizellen im Vorkernstadium

  • Befruchtung: Nach der In-vitro-Fertilisation werden die Eizellen überwacht, bis sich Vorkerne bilden.
  • Kryoprotektion und Vitrifikation: Die befruchteten Eizellen werden kryoprotektiv behandelt und dann schnell eingefroren.
  • Lagerung: Die Proben werden bis zur Verwendung in flüssigem Stickstoff aufbewahrt.

Bei all diesen Verfahren ist es wichtig, dass die kryokonservierten Proben von qualifiziertem medizinischem Personal gehandhabt werden, um die Lebensfähigkeit und Sicherheit der Proben zu gewährleisten.

Weitere Hinweise

  • Die Spermaqualitäten von Patienten mit testikulären Keimzelltumoren, der vor einer Orchidektomie (Hodenentfernung) kryokonservierten Spermien, hängen gemäß einer Studie wohl nicht vom Tumorstadium ab [9]. Einschränkung: retrospektive Studie; keine Angaben zur fertilen Erfolgsrate
  • Kinder, die nach einer In-vitro-Fertilisation (IVF) geboren wurden, bei der die befruchtete Eizelle zuvor eingefroren war, hatten eine höhere Krebswahrscheinlichkeit (44,4 auf 100.000 Personenjahre versus 17,5 auf 100.000 Personenjahre; Hazard Ratio betrug 2,43, die mit einem 95-%-Konfidenzintervall von 1,44 bis 4,11 statistisch signifikant war); das erhöhte Risiko war vor allem bedingt durch Leukämien, Neuroblastome oder andere Tumoren des sympathischen Nervensystems [2].
  • Am 6. Juli 2019 fand die erste Geburt eines Kindes nach fertilitätserhaltenden Maßnahmen einer Frau statt, die an Brustkrebs erkrankt war. Es handelt sich dabei um eine Schwangerschaft aus aufgetauten Eizellen, die per intrazytoplasmatischer Spermieninjektion (ICSI*) befruchtet wurden und als Embryo im Keimstadium in den Uterus (Gebärmutter) transferiert wurde. Dem war die Gewinnung von 17 Antralfollikeln per transvaginalem Ultraschall (Ultraschallverfahren, bei dem der Ultraschallkopf durch die Scheide eingeführt wird) und anschließender in-vitro Maturation, d. h. der Verlagerung der Follikelreifung in-vitro (Eizellreifung im Reagenzglas). Die so gereiften Oozyten (Eizellen) wurden anschließend schockgefroren in flüssigem Stickstoff (Vitrifikation) [3].
  • Kryokonservierung von Embryonen
    • Dauer der Lagerung: Eine längere Lagerzeit ging mit schlechterem Schwangerschaftserfolg und niedrigeren Lebendgeburtenraten einher: Bei Lagerung von 12 bis 24 Monaten sank die Implantationsrate (Zahl lebend geborener Kinder, dividiert durch die Zahl transferierter Embryonen) im Vergleich zur Lagerung von 3 Monaten von 40 auf 26 %, die klinische Schwangerschaftsrate von 56 auf 26 % und die Lebensgeburtenrate von 47 auf 26 % [4].
    • Nachkommen aus kryokonservierten Embryonen könnten ein höheres Krebsrisiko aufweisen als andere Kinder: Inzidenzrate (IR) von Krebs vor dem 18. Lebensjahr [7]:
      • assistierte reproduktionsmedizinische Behandlung (ART)
        • 19,3/100.000 Personenjahre für Kinder, die nach assistierten reproduktionsmedizinischen Behandlung (ART) geboren wurden (329 Fälle)
        • 16,7/100.000 Personenjahre für Kinder, die ohne ART geboren wurden (16.184 Fälle
        • bereinigte Hazard Ratio (aHR) lag bei 1,08 (95-%-Konfidenzintervall (KI) 0,96 bis 1,21, p=0,18)
      • Kinder, die per kryokonservierter Embryonen geboren wurden,
        • höheres Krebsrisiko (48 Fälle; IR 30,1/100.000 Personenjahre) im Vergleich zu nicht kryokonservierten Embryotransfer (IR 18,8/100.000 Personenjahre), 
        •  aHR 1,59 (95 % CI 1,15 bis 2,20, p=0,005)
    • Embryonen-Kryotransfer (In-vitro-Fertilisation (IVF) mit tiefgefrorenen Embryonen, FET):
      • 74 Prozent höheres Risiko für eine Gestationshypertonie (Schwangerschafthochdruck) gegenüber der natürlichen Empfängnis [8].
      • Nach FET geborene Jungen waren häufiger übergewichtig als nach Transfer frischer Embryonen(ET) und natürlicher Konzeption (NC) geborene (28 % vs. 22 % vs. 26 %). Bei Mädchen betrug der durchschnittliche Anteil an Übergewichtigen jeweils 18 %, 19 % und 22 % nach FET, ET und NC; signifikant war dabei nur der Unterschied zwischen FET und NC [10].
        Hinweis: Die Autoren erklären diesen Sachverhalt damit, dass männliche Nachkommen möglicherweise anfälliger für die Auswirkungen der Gefrier- und Aufbauprozese sind.
  • Kryokonservierung von Ovarialgewebe/Eierstockgewebe (engl. Ovarian Tissue Cryopreservation, OTC): Mit OTC wurden 39 % der Frauen mindestens einmal schwanger und 18 % brachten ein gesundes Kind zur Welt. Im fortgeschrittenem gebärfähigem Alter haben Frauen allerdings schlechte Chancen, durch die Transplantation von kryokonserviertem Ovargewebe und nachfolgender IVF schwanger zu werden: die Altersgrenze lag bei 35 Jahren [5].  

*Dabei wird ein einzelnes Spermium (Samenzelle) mithilfe einer Mikrokapillare direkt in das Zytoplasma (Ooplasma) einer Eizelle injiziert. Das Verfahren wird stets kombiniert mit einer In-vitro-Fertilisation (IVF; "Befruchtung im Glas").

Hinweis: Die Kryokonservierung von Ei- und Samenzellen sowie die dazugehörigen medizinischen Maßnahmen werden unter bestimmten Voraussetzungen von der ge­setz­li­chen Kran­ken­ver­siche­rung bezahlt (ab. 1. Juli 2021). 
Ausgeschlossen sind unter 18-Jährige sowie generell Frauen ab 40 und Männer ab 50 Jahren.

Die Kryokonservierung von
 Ovarialgewebe (Eierstockgewebe) ist für junge Frauen ab der ersten Regelblutung sowie für Frauen bis zum vollendeten 40. Lebensjahr Kassenleistung.

Bitte beachten Sie!

Die körperliche und psychische Gesundheit von Mann und Frau sowie eine gesunde Lebensweise sind wichtige Voraussetzungen für eine erfolgreiche Kinderwunschbehandlung.

Vor dem Beginn therapeutischer Maßnahmen sollten Sie in jedem Fall  soweit möglich  Ihre individuellen Risikofaktoren reduzieren!

Lassen Sie deshalb vor Beginn einer fortpflanzungsmedizinischen Maßnahme (z. B. IUI, IVF etc.) einen Gesundheitscheck und eine Ernährungsanalyse zur Optimierung Ihrer persönlichen Fertilität (Fruchtbarkeit) durchführen.

Literatur

  1. Shi Y et al.: Transfer of Fresh versus Frozen Embryos in Ovulatory Women. N Engl J Med 2018; 378:126-136January 11, 2018 doi: 10.1056/NEJMoa1705334
  2. Hargreave M et al.: Association Between Fertility Treatment and Cancer Risk in Children. JAMA. 2019;322(22):2203-2210. doi:10.1001/jama.2019.18037
  3. Grynberg M et al.: First birth achieved after fertility preservation using vitrification of in vitro matured ocytes in a woman with breast cancer. https://doi.org/10.1016/j.annonc.2020.01.005
  4. Li J et al.: The effect of storage time after vitrification on pregnancy and neonatal outcomes among 24 698 patients following the first embryo transfer cycles. Human Reproduction 2020; http://doi.org/10.1093/humrep/deaa136
  5. Dueholm Hjorth I A et al.: Reproductive outcomes after in vitro fertilization treatment in a cohort of Danish women transplanted with cryopreserved ovarian tissue. Ferti Steril 2020; https://doi.org/10.1016/j.fertnstert.2020.03.035
  6. Kryokonservierung von Ei- und Samenzellen als GKV-​Leistung – G-BA beschließt Richtlinie Gemeinsamer Bundesausschuss 16. Juli 2020
  7. Sargiiian N et al.: Cancer in children born after frozen-thawed embryo transfer: A cohort study PLOS MEDICINE September 1, 2022 https://doi.org/10.1371/journal.pmed.1004078
  8. Petersen SH et al.: Risk of Hypertensive Disorders in Pregnancy After Fresh and Frozen Embryo Transfer in Assisted Reproduction: A Population-Based Cohort Study With Within-Sibship Analysis Hypertension. 2022;0:10.1161/HYPERTENSIONAHA.122.19689
  9. Badia RR et al.: Impact of testicular cancer stage on semen parameters in patients before orchiectomy ScienceDirect 2023;41(3):151.e11-151.e15
  10. Terho A.M. et al.: Growth of singletons born after frozen embryo transfer until early adulthood: a Finnish register study. Human Reproduction 2024; https://doi.org/10.1093/humrep/dead264
     
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