Hodenhochstand (Maldeszensus testis) – Einleitung

Der Maldeszensus testis (MDT; MT) – umgangssprachlich Hodenhochstand genannt – bezeichnet einen gestörten Hodenabstieg (Descensus testi).

Synonyme und ICD-10: Hodenretention, Retentio testis inguinalis, abdominalis, Kryptorchismus; ICD-10-GM Q53.-: Nondescensus testis

Physiologischer Prozess des Deszensus testis

Der Hoden steigt in der Regel während der Entwicklung vom Abdomen (Bauchraum) in das Skrotum (Hodensack) ab. Dieser Prozess findet in mehreren Phasen statt:

  1. Transabdominale Phase: In den ersten Monaten der fetalen Entwicklung bewegt sich der Hoden innerhalb der Bauchhöhle in Richtung Leistenkanal.
  2. Inguinale Phase: Im letzten Trimester (Schwangerschaftsdrittel) der Schwangerschaft durchwandert der Hoden den Leistenkanal und tritt in das Skrotum ein.
  3. Postnatale Phase: Nach der Geburt kann der Hoden weiterhin seinen endgültigen Platz im Skrotum finden. Dieser Prozess ist in den ersten Lebensmonaten noch nicht vollständig abgeschlossen.

Formen des Maldeszensus testis

  • Bauchhoden (Retentio testis abdominalis; Kryptorchismus): Der Hoden bleibt im Abdomen.
  • Leistenhoden (Retentio testis inguinalis): Der Hoden bleibt in der Leiste (ca. 50-60 % der Fälle).
  • Hodenektopie: Der Hoden nimmt einen "falschen" Weg und wandert unterhalb der Leiste oder in den Oberschenkel. Hier sind die möglichen Formen und Orte der Hodenektopie:
    • Präfasziale Hodenektopie: Der Hoden befindet sich unterhalb der Leiste, vor der Faszie (Bindegewebsschicht).
    • Ektopia penilis: Der Hoden wandert in den Bereich des Penis.
    • Ektopia femoralis: Der Hoden befindet sich im Oberschenkelbereich.
    • Ektopia perinealis: Der Hoden wandert in den Bereich des Damms (zwischen Anus und Genitalien).
  • Pendelhoden (retaktile Hoden; engl. retractile testis): Normal entwickelte Hoden, die sich zeitweise in die Leiste hochziehen können; bedarf keiner Therapie und sollte beobachtet werden.
  • Gleithoden (Retentio testis präscrotalis): Der Hoden liegt in der Leiste, lässt sich aber leicht in das Hodenfach ziehen, gleitet jedoch sofort zurück in die Leistenposition → konservative Hormontherapie innerhalb der ersten 12 Lebensmonate.

Sekundärer Aszensus

Neben dem primären Maldeszensus testis gibt es auch einen sekundären Aszensus (Aufstieg) nach bereits stattgehabtem Deszensus (= sekundärer Hodenhochstand).

Epidemiologie

Häufigkeitsgipfel: Die Mehrheit der Fälle tritt bei Neugeborenen und Säuglingen auf. Ein sekundärer Hodenhochstand kann jedoch auch in der Kindheit oder Jugend auftreten.

Prävalenz (Krankheitshäufigkeit)

  • Primärer Maldescensus testis: 3-4 % aller Neugeborenen, bis zu 30 % bei Frühgeborenen.
  • Am Ende des ersten Lebensjahres: 1-2 %, in ca. 30 % der Fälle bilateral (beidseitig).

Verlauf und Prognose

Verlauf

  • In den ersten sechs Monaten wird zunächst abgewartet und der Verlauf regelmäßig kontrolliert, da in diesem Zeitraum noch ein spontaner Descensus testis (Hodenabstieg) möglich ist (tritt bei bis zu sieben Prozent der Fälle auf).
  • Wenn der Hoden nicht dauerhaft im Skrotum (Hodensack) tastbar ist, beginnt ab dem sechsten Lebensmonat eine Pharmakotherapie (medikamentöse Therapie), die idealerweise bis zum ersten Lebensjahr abgeschlossen sein sollte.
  • Falls diese Therapie ohne Erfolg bleibt, wird in der Regel der Hoden operativ im Skrotum bis zum 12. Lebensmonat fixiert, um Folgeschäden (Fruchtbarkeitsstörungen und ein höheres Hodenkrebsrisiko) zu vermeiden. Ca. 1,4-3,8 % der Jungen wird wegen eines Hodenhochstands operiert [1-3].
  • Aufgrund der Möglichkeit des Auftretens eines sekundären Hochhochstands sollte die Hodenlage bis zur Pubertät regelmäßig kontrolliert werden. Besonders hochskrotal liegende Hoden sollten kurzfristig kontrolliert werden.

Prognose

  • Die Mehrheit der Hodenhochstandfälle kann erfolgreich behandelt werden. Die Prognose hängt stark von der frühzeitigen Diagnose und Behandlung ab.
  • Unbehandelt führt der Hodenhochstand zu einem erhöhten Risiko für Fruchtbarkeitsstörungen und Hodenkrebs.
  • Ein sekundärer Hodenhochstand muss bis zur Pubertät regelmäßig kontrolliert werden, insbesondere hochskrotal liegende Hoden sollten kurzfristig überwacht werden.
  • Die Vaterschaftsrate nach operativer Therapie variiert, ist aber bei frühzeitiger Behandlung gut.
  • Im Gegensatz zum kongenitalen Kryptorchismus entwickelt sich der sekundäre Hodenhochstand nach zunächst normalem Deszensus. In einer Studie erreichte der Anteil erworbener an allen Fällen von Kryptorchismus mehr als 50 % [4].

Komorbidität

Eine Morgagni-Hydatide bei Maldescensus ist eine bekannte Begleiterkrankung. Damit besteht die Gefahr einer Torquierung (Verdrehung) der Morgagni-Hydatide und infolgedessen einer Infarzierung (Infarktbildung) mit dem klinischen Bild eines akuten Skrotums (akut auftretende Schmerzen am Skrotum (Hodensack), die mit Rötung und Schwellung einhergehen).

Literatur

  1. Barthold JS, Gonzalez R: The epidemiology of congenital cryptorchidism, testicular ascent and orchiopexy. J Urol 2003;170(6 Pt 1):2396-2401 doi: 10.1097/01.ju.0000095793.04232.d8
  2. Thorup J, Cortes D (2019) Surgical management of undescended testis—timetable and outcome: a debate. Sex Dev 2019;13(1):11-1 doi: 10.1159/000496417
  3. Hutson JM, Thorup J, Beasely SW: Classification and causes of undescendent testis in humans. In: Hutson JM, Thorup J, Beasely SW (Hrsg) Descent of the testis. Springer, Cham, 2016, S 45-67
  4. Grande-Moreillo C et al.: Alterations in testicular positioning after normal descent: acquired cryptorchidism. Andrology 2023; https://doi.org/10.1111/andr.13557

Leitlinien

  1. S2k-Leitlinie: Hodenhochstand – Maldescensus testis. (AWMF-Registernummer: 006-022), August 2016 Langfassung