Selbstmordgefährdung (Suizidalität) – Diagnostik

 

Die Diagnostik der Suizidalität (Neigung oder Bereitschaft zur Selbsttötung) erfolgt in erster Linie durch das ärztliche Gespräch. Zentral ist die sorgfältige Exploration (gründliche Befragung) der aktuellen psychischen Situation, der Gedanken und ggf. Berichte über vorangegangene Suizidversuche (Selbsttötungsversuche). Jede Suizidankündigung ist ernst zu nehmen.

Klinische Einschätzung

  • Offenes Ansprechen von Suizidgedanken (Gedanken an Selbsttötung), -plänen und -vorbereitungen
  • Einschätzung von Frequenz (Häufigkeit), Dauer und Intensität (Stärke) der Gedanken
  • Abklärung eines konkreten Plans (Mittel, Ort, Zeitpunkt)
  • Überprüfung, ob bereits Vorbereitungen getroffen wurden (z. B. Medikamente gesammelt, Abschiedsbrief)
  • Einschätzung der Verfügbarkeit letaler Mittel (tödliche Mittel)

Standardisierte Instrumente (ergänzend zur klinischen Einschätzung)

  • Columbia Suicide Severity Rating Scale (C-SSRS)
  • Beck Scale for Suicide Ideation (BSS)
  • Nurses’ Global Assessment of Suicide Risk (NGASR)

Risikofaktoren

  • Frühere Suizidversuche (Selbsttötungsversuche) – wichtigster Einzelprädiktor (Vorhersagefaktor)
  • Psychische Erkrankungen (seelische Erkrankungen): Depression (Niedergeschlagenheit), bipolare Störung (manisch-depressive Erkrankung), Schizophrenie (Psychose mit Realitätsverlust), Angststörungen, Persönlichkeitsstörungen
  • Suchterkrankungen: Alkoholabhängigkeit (Alkoholsucht), Medikamentenabhängigkeit, Drogenkonsum
  • Chronische körperliche Erkrankungen (langwierige Krankheiten) und Schmerzen (z. B. Krebs, neurologische Erkrankungen)
  • Hoffnungslosigkeit, Impulsivität (Spontanhandeln), Aggressivität
  • Psychosoziale Belastungen: Isolation (soziale Vereinsamung), Verlustereignisse (z. B. Tod des Partners), berufliche oder finanzielle Krisen
  • Familiäre Belastung mit Suizidalität oder schweren psychischen Erkrankungen

Schutzfaktoren

  • Familiäre und soziale Bindungen (enge Beziehungen)
  • Religiöse oder weltanschauliche Überzeugungen gegen Suizid
  • Positive Zukunftsperspektiven, Hoffnung
  • Verbindliche therapeutische Allianz (tragfähige Arzt-Patient-Beziehung)

Somatische Abklärung (körpermedizinische Abklärung)

  • Laboruntersuchungen bei akuter Suizidalität: Alkohol, Drogen, Medikamentenspiegel
  • Ausschluss organisch bedingter psychischer Störungen (z. B. Delir, Demenz, endokrine Erkrankungen wie Hormonstörungen)

Differenzialdiagnostische Abklärung (Abgrenzung anderer Ursachen)

  • Abgrenzung psychotischer Symptome (z. B. imperative Stimmen – befehlende Stimmen)
  • Abklärung organisch bedingter Ursachen (z. B. Hypothyreose – Schilddrüsenunterfunktion, Delir – akute Verwirrtheit, Intoxikation – Vergiftung)

Dringlichkeit und Schutzmaßnahmen

  • Bei konkreter Suizidgefahr: sofortige Krisenintervention (unverzügliche Notfallmaßnahmen)
  • Einbeziehung von Angehörigen, soweit möglich
  • Prüfung der Notwendigkeit einer stationären Aufnahme (ggf. auch gegen den Willen des Patienten)
  • Sicherstellung des Schutzes vor letalen Mitteln (tödlichen Mitteln)