Hormonelle Kontrazeptiva und Karzinomrisiko

Seit der Einführung der hormonellen Kontrazeptiva (Empfängnisverhütungsmittel) in den Sechzigerjahren des 20. Jahrhunderts wird auch immer wieder das Karzinomrisiko (Krebsrisiko) diskutiert, da Östrogene und Gestagene an der Regulierung und Funktion vieler Organe beteiligt sind, die im Laufe des Lebens bösartige Tumoren bilden könnten. Im Fokus steht, wie bei der postmenopausalen Einnahme von Hormonen*, besonders das Mammakarzinom (Brustkrebs).

  • Für die Anwendung oraler Kontrazeptiva gibt es bis auf das Mammakarzinom genügend Analysen, die eine klare Aussage zum Risiko machen können [1, 2,  LL1].
  • für die Anwendung von Gestagenen-Monopräparaten (oral, Implantat (Hormonimplantat; Verhütungsstäbchen), intramuskulär, intrauterin) fehlen meist entsprechende Studien, sodass der Effekt derzeit nicht klar definierbar ist [2, LL1].

*Postmenopause ist der letzte Abschnitt der Wechseljahre; beginnt zwölf Monate nach der letzten Regelblutung (Menopause).

Hormonelle Kontrazeptiva und Mammakarzinom-Risiken

Nach derzeitigen Stand (2019) der Untersuchungen scheint (nicht unwidersprochen) das Brustkrebsrisiko bei der Einnahme von kombinierten oralen Kontrazeptiva (KOK) während der Einnahme bis ca. fünf Jahre danach um etwa 20 % erhöht zu sein. 5-10 Jahre nach Beendigung hat sich das Risiko normalisiert, d. h. die Inzidenz entspricht derjenigen der Frauen, die niemals hormonelle Kontrazeptiva eingenommen haben. Die jüngsten Untersuchungen dazu stammen aus einer im Jahre 2018 veröffentlichten dänischen prospektiven Kohorten-Studie an 1,8 Millionen Frauen im Alter von 15-49 Jahren [3].

Zum Risiko der in den Kontrazeptiva enthalten Gestagene gibt es, im Gegensatz zur Hormontherapie in der Postmenopause (s. o.), keine aussagekräftigen Studien [3]. Gleiches gilt für die Gestagen-Monotherapie s. o. [3]. Bei der Anwendung eines Intrauterinpessars (IUP; "Spirale") mit Levonorgestrel war das Risiko in der dänischen Studie auf 1,2 OR (Odds-Ratio) erhöht. In einer Schweizer Studie deuten die Ergebnisse bei der Anwendung Levonorgestrel-freisetzender IUPs auf ein erhöhtes Brustkrebsrisiko hin; vor allem für postmenopausale Frauen und bei längerer Anwendungsdauer [8]. Im Moment lässt sich daraus kein endgültiger Schluss ziehen. Derzeit steht man auf dem Standpunkt, dass weitere Untersuchungen an größeren Kohorten erforderlich sind, um eine klare Aussage treffen zu können [2, 3, 4, LL1], allerdings ist auch für die Gestagen-Monopräparate ein Risiko nicht auszuschließen.

Hormonelle Kontrazeptiva und Mammakarzinom-Rezidivrisiko

Bei Brustkrebspatientinnen, die unter der Therapie stehen (Chemo-, Strahlentherapie, postoperativ), ist eine sichere Verhütung absolut notwendig. Es gibt allerdings keine aussagekräftigen Studien darüber, ob kombinierte orale Kontrazeptiva (KOK) oder Gestagen-Monopräparate bei Zustand nach einem Mammakarzinom das Risiko für ein Rezidiv (Wiederauftreten der Erkrankung) erhöhen. Derzeit folgende Empfehlungen:

  • Leitlinie 2019 [LL1]: Methode der Wahl: Kupferspirale
  • Centers for Disease Control and Prävention: Methode der Wahl: Kupferspirale auch nach fünf Jahren ohne Nachweis auf eine Rezidiv (Wiederauftreten der Erkrankung)
  • WHO: Kategorie → 4: Kontraindikation (Gegenanzeigen) für
    • hormonelle Kombinationspräparate (oral, transdermal, vaginal)
    • Gestagen-Monopräparate (oral, Implantat, intramuskulär, intrauterin)

    WHO-Kategorien: 1 = uneingeschränkt empfehlenswert; 2 = Nutzen > Risiko; 3 = Risiko ≥ Nutzen (relative Kontraindikationen); 4 = inakzeptables Risiko (absolute Kontraindikation)

Hormonelle Kontrazeptiva und Ovarialkarzinom

Einhellig sind die Ergebnisse vieler Studien, dass orale Kontrazeptiva zu einer Risikoreduktion um 30-50 % für die Entstehung eines Ovarialkarzinoms (Eierstockkrebs) führen. Dieser Effekt ist abhängig von der Dauer der Anwendung und noch bis zu 30 Jahren nach Absetzen der hormonellen Kontrazeptiva nachweisbar, lässt aber nach etwa zehn Jahren graduell nach [1, 5, LL1].
Der risikoreduzierende Effekt trifft auch für Frauen zu, mit einer Mutation des BRCA1- oder BRCA2-Gens (Bestandteile eines Reparatursystems für DNA-Doppel­strangbrüche, deren Aufgabe darin besteht, Krebserkrankungen zu verhin­dern) [6].
Ob der protektive Effekt (schützende Effekt) auch bei dem Levonorgestrel-haltigen IUP nachweisbar ist, wird derzeit unterschiedlich beurteilt [5].
Andere Gestagen-Monotherapie-Arten scheinen keinen protektiven, aber auch keinen negativen Effekt zu haben [5, 7]. 

Hormonale Kontrazeptiva und Cervixkarzinom

Die Studien sind uneinheitlich. Die meisten Kohorten- und Fallkontrollstudien, kommen jedoch zu dem Schluss, dass ein erhebliches Risiko für ein Cervixkarzinom (Muttermundkrebs) vorliegt. Dieses Risiko nimmt mit der Zeitdauer zu und besteht auch noch bis zu 20 Jahren nach Absetzen [Übersicht: 1, LL 1]

Hormonale Kontrazeption und Endometriumkarzinom

Die vorliegenden Studien zeigen einheitlich eine Reduktion des Corpuskarzinomrisikos (Gebärmutterkörperkrebs; Gebärmutterschleimhautkrebs) von mindestens 30 % unter der Einnahme von hormonalen Kontrazeptiva im Gegensatz zu Frauen, die noch nie orale Kontrazeptiva angewandt haben. Der risikoreduzierende Effekt ist assoziiert mit der Dauer der Anwendung und hält noch viele Jahre nach dem Absetzen der Hormone an [Übersicht: 1, LL1].

Hormonelle Kontrazeptiva und Kolonkarzinom

Die vorliegenden Kohorten- und Fallkontrollstudien, sowie Metaanalysen zeigen einheitlich eine signifikante Risikoreduktion für ein Colonkarzinom (Dickdarmkrebs) von 15-20 % unter der Einnahme von hormonellen  Kontrazeptiva [Übersicht: 1, LL 1].

Literatur

  1. NIH: Oral Contraceptives (Birth Control Pills) and Cancer Risk. https://www.cancer.gov. Reviewd: February22,2018
  2. Ross CM, Shulman LPAssessing the Role of Reversible Contraceptives in the Health Care of Women as it Pertains to Cancer Prevention. Adv Ther. 2017 Nov;34(11):2412-2421. doi: 10.1007/s12325-017-0623-7. Epub 2017 Oct 11.
  3. Mørch LS, Skovlund CW, Hannaford PC, Iversen L, Fielding S, Lidegaard Ø: Contemporary Hormonal Contraception and the Risk of Breast Cancer. N Engl J Med. 2017 Dec 7;377(23):2228-2239. doi: 10.1056/NEJMoa1700732.
  4. Westhoff CL, Pike MC: Hormonal contraception and breast cancer. Am J Obstet Gynecol. 2018 Aug;219(2):169.e1-169.e4. doi: 10.1016/j.ajog.2018.03.032. Epub 2018 May 17.
  5. Iversen L, Fielding S, Lidegaard Ø, Mørch LS, Skovlund CW, Hannaford PC: Association between contemporary hormonal contraception and ovarian cancer in women of reproductive age in Denmark: prospective, nationwide cohort study. BMJ. 2018 Sep 26;362:k3609. doi: 10.1136/bmj.k3609. 
  6. Friebel TM, Domchek SM, Rebbeck TR: Modifiers of cancer risk in BRCA1 and BRCA2 mutation carriers: systematic review and meta-analysis. J Natl Cancer Inst. 2014 Jun;106(6):dju091. doi: 10.1093/jnci/dju091.  
  7. Soini T, Hurskainen R, Grénman S, Mäenpää J, Paavonen J, Pukkala E: Impact of levonorgestrel-releasing intrauterine system use on the cancer risk of the ovary and fallopian tube. Acta Oncol. 2016 Nov;55(11):1281-1284. Epub 2016 May 5.
  8. Zürcher A et al.: Influence of the levonorgestrel‑releasing intrauterine system on the risk of breast cancer: a systematic review. Arch Gynecol Obstet 2022; https://doi.org/10.1007/s00404-022-06640-y

Leitlinien

  1. S3-Leitlinie: Hormonelle Empfängnisverhütung. (AWMF-Registernummer: 015 - 015), September 2020 Langfassung

     
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