Ursachen
Drohende Frühgeburt

Pathogenese (Krankheitsentstehung)

Die drohende Frühgeburt. bzw. die Frühgeburt ist das Ergebnis und die Endstrecke vieler unterschiedlicher zugrundeliegender Pathologien (krankhafte und abnorme Vorgänge und Zustände im Körper).

Die wichtigsten Ursachen sind Infektionen und Störungen der Plazentafunktion (Mutterkuchenfunktion) durch eine verminderte uteroplazentare (Gebärmutter- und mutterkuchenbezogene) Durchblutung. Auf welche Weise das Gleichgewicht zwischen relaxiertem (entspanntem) und kontraktionsbereitem Myometrium (Gebärmuttermuskulatur), einer rigiden (starre, steife, feste) Cervix (Gebärmutterhals), sowie widerstandsfähiger Eihäute beeinflusst wird, ist nur zum Teil verstanden. Bei einer aszendierenden (aufsteigenden) Infektion z. B. führen bakterielle Endotoxine (Zerfallsprodukte von Bakterien, die im Menschen zahlreiche physiologische Reaktionen auslösen können) über die Aktivierung von Makrophagen (Fresszellen) zur Freisetzung von Zytokinen (Proteine (Eiweiß), die das Wachstum und die Differenzierung von Zellen regulieren), insbesondere von Interleukin-1 und Tumornekrosefaktor (TNF). Diese induzieren über verschiedene Mechanismen die Bildung von Prostaglandinen im Chorium (baumartig verzweigte Plazentazotten) und der Dezidua (Gebärmutterschleimhaut während der Schwangerschaft), die letztendlich zu Umbauvorgängen in der Cervix und damit zur Cervixreifung, bzw. zur Cervixinsuffizienz, zu Strukturveränderungen der Eihäute mit Verlust der Widerstandsfähigkeit und damit zum vorzeitigem Blasensprung und zur vorzeitigen Wehentätigkeit führen. Aus einer reduzierten Durchblutung der Plazenta resultiert vereinfacht die Bildung von Sauerstoffradikalen, die zur Aktivierung von Zytokinen und einer Aktivierung von Corticotropin-Relasing-Hormon (CRH), die zur Kontraktion der Muskulatur und zur vorzeitigen Wehentätigkeit führen können. Bei anderen Ursachen wie z. B. chronischem Stress (Dauerstress) hat die Freisetzung von CRH aus dem Trophoblasten eine besondere Bedeutung. Es stimuliert die Bildung von Prostaglandinen und die von Oxytozinrezeptoren.

Ätiologie (Ursachen)

Die drohende Frühgeburt ist zu verstehen als Endstrecke verschiedener Erkrankungen bzw. pathophysiologischen Ursachen, deren Folge vorzeitige Wehen, ein vorzeitiger  Blasensprung und/oder Umbauvorgänge in der Cervix (Cervixinsuffizienz) sein können. 

Die häufigsten Ursachen sind:

  • Infektionen
    • Aszendierende (aufsteigende) Infektionen
    • Systemische Infektionen
    • Harnwegsinfektionen (HWI); auch Frauen mit asymptomatischer Bakteriurie haben eine erhöhte Frühgeburtenrate, die bei Intervention zu einer signifikanten Senkung der Frühgeburtenrate vor der 37+0 SSW führte [6]
    • Chorioamnionitis (Entzündung der inneren Eihaut und der äußeren Schicht der Fruchthüllen um den Embryo bzw. Fetus/ungeborene Kind)
  • Pathologie der uteroplazentaren (Gebärmutter-Mutterkuchen) Einheit, verursacht durch Hypoxie (Sauerstoffmangel) und Ischämie (Minderdurchblutung), z. B. Präeklampsie, Eklampsie, HELLP-Syndrom (H = hemolysis (Hämolyse/Auflösung der Erythrozyten (rote Blutkörperchen) im Blut), EL = elevated liver enzymes (Erhöhung der Leberenzyme), LP = low platelets (Thrombozytopenie/Verminderung der  Blutplättchen), Diabetes mellitus, Placenta praevia (Fehllage der Plazenta (Mutterkuchen) in der Nähe des Gebärmutterhalses), Abruptio placentae (vorzeitige Plazentalösung)
  • Fetale Pathologie
    • Fehlbildungen
    • Chromosomenanomalien
  • Uteruspathologie
    • Cervixinsuffizienz (Muttermundschwäche)
    • Myome (gutartige Muskelgeschwülste der Gebärmutter)
    • Uterusfehlbildungen
    • Zustand nach Operationen z. B. ausgedehnte Konisation (Operation am Muttermund, bei der ein Gewebekegel (Konus) aus dem Gebärmutterhals (Cervix) ausgeschnitten und anschließend mikroskopisch untersucht wird), Myomentfernung (Entfernung einer Muskelgeschwulst) mit Eröffnung des Cavum uteri (Gebärmutterhöhle), Zustand nach instrumentellem Schwangerschaftsabbruch
  • Mehrlingsschwangerschaften

 Biographische Ursachen

  • Genetische Belastung für ein Frühgeburtsrisiko
    • Zwillings- und Familienstudien haben gezeigt, dass der Einfluss der Gene für eine Schwangerschaft vor dem Ende der 37. Woche bei 30-40 Prozent liegen könnten.
    • Genvarianten (EBF1, EEFSEC, AGTR2, WNT4, ADCY5 und RAP2C), die die Länge der Schwangerschaft beeinflussen sowie Genvarianten (EBF1, EEFSEC und AGTR2), die auch für Frühgeburten verantwortlich sein könnten [5]
  • Uterusfehlbildungen (Fehlbildungen der Gebärmutter)
  • Gynäkologische und geburtshilfliche Anamnese
    • Zustand nach Abort (Fehlgeburt)
    • Zustand nach spontaner Frühgeburt
    • Schwangerschaftsintervall < 12 Monate
    • Zustand nach In-vitro-Fertilisation/intrazytoplasmatische Spermieninjektion (IVF/ICSI) (Frühgeburtenrate 10,1 % versus 5,5 % bei Schwangerschaft auf natürlichem Weg) [7]
    • Zustand nach Operationen z. B. ausgedehnte Konisation (Operation am Muttermund, bei der ein Gewebekegel (Konus) aus dem Gebärmutterhals (Cervix) ausgeschnitten und anschließend mikroskopisch untersucht wird), Myomentfernung (Entfernung einer Muskelgeschwulst) mit Eröffnung des Cavum uteri (Gebärmutterhöhle), Zustand nach instrumentellem Schwangerschaftsabbruch
  • Krebserkrankung in der Anamnese [3]: Eine Studie dazu untersuchte Frauen, die im Alter zwischen 15 und 39 Jahren an Krebs
  • (Melanom/Hautkrebs (21 %)/Melanoma in situ (10 %), Schilddrüsenkarzinom (19 %) und Mammakarzinom/Brustkrebs (14 %) sowie Hodgkin-Lymphom (7 %), gynäkologische Tumoren (5 %) und Non-Hodgkin-Lymphome (4 %)) erkrankt waren. Davon wurden jeweils ca. jede Vierte chemotherapeutisch behandelt oder bestrahlt. Die Prävalenz-Ratio (PR), d. h. der Quotient der Prävalenz bei Krebspatientinnen und Gesunden, lag
    • für Frühgeburtlichkeit bei 1,52 (95 %-Konfidenzintervall zwischen 1,34 und 1,71), 
    • für ein geringes Geburtsgewicht bei 1,59 (95 %-Konfidenzintervall zwischen 1,38 und 1,83)
    • bei Frauen mit gynäkologischen Tumoren bei 2,58 (PR: 2,58; 95%-Konfidenzintervall zwischen 1,83 und 3,63)
    • für eine Frühgeburt und ein niedriges Geburtsgewicht nach einer Chemotherapie ohne Radiatio (Strahlentherapie) bei 2,11 bzw. 2,36
  • Mehrlingsschwangerschaften (ca. 10 % aller Frühgeburten)
  • Lebensalter   
    • Mutter: < 18 und > 35 Jahre; > 40 Jahren (unabhängig von Störfaktoren) [8]
    • Vater:  > 45. Lebensjahr → Kinder wurden im Durchschnitt 0,12 Wochen früher geboren als die Kinder jüngerer Väter; Risiko auf eine Frühgeburt war um 14 % erhöht [9].
  • Sozioökonomische Faktoren (Frühgeburtlichkeit; Geburt vor Vollendung von 37 Schwangerschaftswochen (SSW: 37+0) oder Geburtsgewicht < 2.500 g) [1]
    • niedriger sozioökonomischer Status
    • niedrige Schulbildung und Ausbildung 
    • unverheiratete Schwangere
    • berufstätige Schwangere

Verhaltensbedingte Ursachen

  • Ernährung
    • Mangelernährung
    • Fehlernährung
    • Mikronährstoffmangel (Vitalstoffe): z. B. Folsäuremangel – siehe Mikronährstofftherapie
  • Genussmittelkonsum
    • Alkohol (> 20 g/Tag)
    • Tabak (Rauchen)
  • Drogenkonsum
    • Cannabis (Haschisch und Marihuana) – bei anhaltendem Cannabiskonsum in der Schwangerschaft, unter Herausrechnung des Einfluss von Rauchen, Alkohol, Alter und sozioökonomischen Status, lag die adjustierte Odds Ratio bei 5,44 für eine Frühgeburt (95-Prozent 2,44 bis 12,11), d. h. war mit einem fünffach erhöhten Risiko assoziiert [2]
  • Körperliche Aktivität
    • hohe körperliche Belastung 
    • unveränderte Körperhaltung für mehr als sechs Stunden
  • Psycho-soziale Situation
    • Chronischer Stress (Dauerstress)
  • Übergewicht (BMI ≥ 25; Adipositas)
  • Untergewicht

Krankheitsbedingte Ursachen

  • Anämie (Blutarmut)
  • Diabetes mellitus
  • Hypertonie (Bluthochdruck)
  • Infektionen
    • Aszendierende (aufsteigende) Infektionen
    • Bakterielle Vaginose (2,4-fach höheres Risiko)
    • Harnwegsinfektionen
    • Systemische Infektionen: z. B Influenza (Grippe): Frühgeburt (< 37 Schwangerschaftswoche) 3,9-faches Risiko im Vergleich zu Schwangeren ohne Influenza [10]; SARS-CoV-2
  • Insomnie (Schlafstörungen) – vor allem bei Schlafapnoe (Atemstillstände während des Schlafs) führte zu einer Frühgeburt vor der 37. Schwangerschaftswoche [4]
  • Nierenerkrankungen
  • Parodontitis (Erkrankung des Zahnhalteapparats)
  • Schilddrüsenerkrankungen  
  • Schwangerschaftserkrankungen: Präeklampsie, Eklampsie, HELLP-Syndrom (H = hemolysis (Hämolyse/Auflösung der Erythrozyten (rote Blutkörperchen) im Blut), EL = elevated liver enzymes (Erhöhung der Leberenzyme), LP = low platelets (Thrombozytopenie/Verminderung der  Blutplättchen), Diabetes mellitus, Placenta praevia (Fehllage der Plazenta (Mutterkuchen)  in der Nähe des Gebärmutterhalses), Abruptio placentae (vorzeitige Plazentalösung)
  • Uterusmyome – gutartige Tumoren, die von der Muskulatur der Gebärmutter ausgehen

Medikamente

  • Oxytocin 
  • Prostaglandine

Operationen

  • Konisation – Operation am Muttermund, bei der ein Gewebekegel (Konus) aus dem Gebärmutterhals (Cervix) ausgeschnitten und anschließend mikroskopisch untersucht wird; schwächt den Gebärmuttermund, was im Fall einer späteren Schwangerschaft eine Frühgeburt begünstigt

Umweltbelastung – Intoxikationen (Vergiftungen)

  • Hitze – hitzebedingter Stress: Temperaturen über 35 Grad Celsius können das Risiko einer Frühgeburt um bis zu 45 Prozent steigern [12]
  • Phthalate (enthalten in vielen Kunststoffen) [11]

Weitere Ursachen 

  • Gemini (Zwillingsschwangerschaft)
  • Vaginale Blutungen (Blutung aus der Scheide): in der Früh- und Spätschwangerschaft
  • Polyhydramnion (Fruchtwassermenge > 2l)
  • Verkürzte Cervix (≤ 25 mm vor der 24. SSW)

Literatur

  1. Gehring WG: Die Bedeutung sozioökonomischer Faktoren für den Schwangerschaftsausgang. Dissertation, Medizinische Hochschule Hannover 1978
  2. Leemaqz SY et al.: Maternal marijuana use has independent effects on risk for spontaneous preterm birth but not other common late pregnancy complications. doi:10.1016/j.reprotox.2016.04.021
  3. Anderson C et al.: Birth Outcomes Among Adolescent and Young Adult Cancer Survivors. JAMA Oncol 2017; online 23. März. doi: 10.1001/jamaoncol.2017.0029
  4. Felder JN et al.: Sleep Disorder Diagnosis During Pregnancy and Risk of Preterm Birth. Obstetrics & Gynecology: August 04, 2017 doi: 10.1097/AOG.0000000000002132
  5. Zhang G et al.: Genetic Associations with Gestational Duration and Spontaneous Preterm Birth. NEJM September 6, 2017 doi: 10.1056/NEJMoa1612665
  6. Honest H et al.: Screening to prevent spontaneous preterm birth: systematic reviews of accuracy and effectiveness literature with economic modelling. Health Technol Assess. 2009 Sep;13(43):1-627. doi: 10.3310/hta13430.
  7. Cavoretto P et al.: IVF/ICSI treatment and the risk of spontaneous preterm birth in singleton pregnancies: a meta-analysis of cohort studies. Ultrasound Obstet Gynecol. Accepted Author Manuscript. doi:10.1002/uog.18930
  8. Fuchs F et al.: Effect of maternal age on the risk of preterm birth: A large cohort study. PLOS ONE 13(1): e0191002 Published: January 31, 2018 https://doi.org/10.1371/journal.pone.0191002
  9. Khandwala YS et al.: Association of paternal age with perinatal outcomes between 2007 and 2016 in the United States: population based cohort study. BMJ 2018; 363 doi: https://doi.org/10.1136/bmj.k4372 (Published 31 October 2018)
  10. Newsome K et al.: Outcomes of infants born to women with influenza A(H1N1)pdm09. Volume111, Issue2 January 15, 2019 Pages 88-95Birth Defects Research https://doi.org/10.1002/bdr2.1445
  11. Welch BM et al.: Associations Between Prenatal Urinary Biomarkers of Phthalate Exposure and Preterm Birth A Pooled Study of 16 US Cohorts JAMA Pediatr. Published online July 11, 2022. doi:10.1001/jamapediatrics.2022.2252
  12. Yüzen D et al.: Increased late preterm birth risk and altered uterine blood flow upon exposure to heat stress doi:https://doi.org/10.1016/j.ebiom.2023.104651 
     
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