Vorhofflimmern – Einleitung

Das Vorhofflimmern (VHF) ist eine vorübergehende (paroxysmale oder intermittierende) oder permanente (dauerhafte) Herzrhythmusstörung mit ungeordneter Tätigkeit der Herzvorhöfe.

Synonyme und ICD-10: Absolute Arrhythmie; Absolute Arrhythmie bei Vorhofflimmern; Absolute Bradyarrhythmie; absolute Tachyarrhythmie; Arrhythmia absoluta; Arrhythmia absoluta bei Vorhofflimmern; Atriale Fibrillationen; Atrial fibrillation; Aurikuläres Flimmern; Bradyarrhythmia absoluta (BAA); chronisches Vorhofflimmern; Flimmerarrhythmie; Flimmerarrhythmie des Vorhofs; Intermittierende absolute Arrhythmie; Intermittierende Arrhythmia absoluta; Intermittierendes Vorhofflimmern; Paroxysmales Vorhofflimmern; TAA [Tachyarrhythmia absoluta]; Tachyarrhythmia absoluta; Tachyarrhythmie; Tachyarrhythmie bei Vorhofflimmern; Vfli; VoFli, VHF und VHFli; AF oder AFib (von englisch Atrial fibrillation); ICD-10-GM I48.0: Vorhofflimmern, paroxysmal; ICD-10-GM I48.1: Vorhofflimmern, persistierend; ICD-10-GM I48.2: Vorhofflimmern, permanent

Vorhofflimmern (VHF) ist eine Herzrhythmusstörung, die zur Gruppe der Reizbildungsstörungen gehört. Es ist die häufigste Form der supraventrikulären Tachyarrhythmie und die häufigste Ursache einer unregelmäßigen Schmalkomplextachykardie (QRS-Breite ≤ 120 ms).

Klassifikation

Vorhofflimmern wird zu den supraventrikulären Arrhythmien gezählt, die in den Herzvorhöfen entstehen. Zu diesen gehören:

  • Supraventrikuläre Tachykardie (SVT)
  • Vorhofflattern
  • Vorhofflimmern

EKG-Befunde

Das tachykarde Vorhofflimmern zeigt im EKG einen schmalen Kammerkomplex (QRS-Breite ≤ 120 ms) und wird als Schmalkomplextachykardie bezeichnet.

Subklinisches Vorhofflimmern

Subklinisches Vorhofflimmern bezeichnet eine Form des VHF bei Personen ohne Symptome und ohne im EKG nachweisbares Vorhofflimmern. Diese Personen tragen jedoch einen Herzschrittmacher oder einen implantierbaren Kardioverter/Defibrillator (ICD), dessen Abfrage eine atriale Hochfrequenzepisode (AHRE) aufzeigt.

Schweregrad der Vorhofflimmerlast

Der Schweregrad des Vorhofflimmerns wird nach einem international anerkannten Standard der American Heart Association (AHA) und des American College of Cardiology (ACC) wie folgt beschrieben:

  • Erstdiagnose: Erstmals diagnostiziertes/entdecktes Vorhofflimmern.
  • Paroxysmales Vorhofflimmern: Dauer maximal 1 Woche; nach aktueller Leitlinie werden Vorhofflimmerepisoden von < 7 Tagen, die kardiovertiert werden, als paroxysmales Vorhofflimmern klassifiziert.
  • Persistierendes Vorhofflimmern: Dauer 1 Woche bis 1 Jahr.
  • Lang anhaltendes persistierendes Vorhofflimmern: Dauer länger als 1 Jahr. Bei diesen Patienten sollte der Therapieversuch zur Wiederherstellung des Sinusrhythmus vorgenommen werden.
  • Permanentes Vorhofflimmern: "Akzeptiertes“ Vorhofflimmern, das anhaltende Vorhofflimmern soll nicht rhythmuserhaltend behandelt werden bzw. eine Kardioversion/Wiederherstellung des normalen Herzrhythmus war erfolglos.

Pulsfrequenz-Einteilung

Vorhofflimmern wird nach der Pulsfrequenz eingeteilt in:

  • Bradyarrhythmia absoluta: Puls unter 50 Schläge pro Minute.
  • Normfrequente absolute Arrhythmie: Puls 50 bis 100 Schläge pro Minute.
  • Tachyarrhythmia absoluta (TAA): Puls über 100 Schläge pro Minute.

Formen des Vorhofflimmerns

  • Valvuläres Vorhofflimmern: Von der Mitralklappe ausgehendes VHF.
  • Nichtvalvuläres Vorhofflimmern: VHF ohne Bezug zur Mitralklappe.

Lone Atrial Fibrillation

Nur wenige Patienten mit Vorhofflimmern (ca. 10 %) leiden an dem als „Lone Atrial Fibrillation" bezeichneten idiopathischem Vorhofflimmern. Diese Patienten haben kein strukturelles Herzleiden und keine vaskulären Risikofaktoren, und das Alter der Patienten ist meist unter 65 Jahren.

Epidemiologie

Geschlechterverhältnis: Männer sind häufiger betroffen als Frauen; im Alter sind Frauen öfter als Männer betroffen 

Häufigkeitsgipfel: Die Erkrankung tritt mit zunehmendem Alter häufiger auf.

Die Prävalenz (Krankheitshäufigkeit) liegt bei 4,6 % bei Männern und 1,9 % bei Frauen (Deutschland). Sie steigt mit zunehmendem Alter (< 65 Jahre 2 %, > 85 Jahre 17,8 %).

Die Inzidenz (Häufigkeit von Neuerkrankungen) beträgt für Männer ca. 80 Erkrankungen und für Frauen ca. 60 Erkrankungen pro 100.000 Einwohner pro Jahr.

Verlauf und Prognose

Verlauf

Vorhofflimmern ist nicht lebensbedrohlich, jedoch birgt es bestimmte Gefahren und kann zu erheblichen Beeinträchtigungen der Lebensqualität führen. Etwa 70 % der Attacken werden von den Betroffenen nicht bemerkt. Typische Symptome umfassen Müdigkeit, plötzlichen Leistungsabfall, Palpitationen (Herzstolpern) sowie Insomnie (Schlafstörungen). Eine wesentliche Gefahr des VHF besteht in dem erhöhten Risiko für einen Apoplex (Schlaganfall).

Eine Studie zeigte, dass die Spontankonversionsrate von Vorhofflimmern in den Sinusrhythmus innerhalb von 48 Stunden ca. 50 % beträgt; die durchschnittliche Dauer des VHF betrug 3,9 ± 5,2 Tage [4].

Die Therapie richtet sich nach der zugrunde liegenden Erkrankung und kann eine Pharmakotherapie mit Antiarrhythmika oder invasive Therapieoptionen wie elektrische Kardioversion oder Katheterablation umfassen. Eine Antikoagulantientherapie wird für alle Patienten mit VHF zur Verhinderung thromboembolischer Komplikationen empfohlen, es sei denn, das Risiko ist niedrig (Alter unter 65 Jahre oder alleiniges Vorhofflimmern) oder es bestehen Kontraindikationen [5].

In einer Studie wurden Patienten mit VHF, die nur Acetylsalicylsäure (ASS) einnahmen, analysiert. Die Apoplexrate variierte je nach Art des VHF: paroxysmales VHF: 2,1 %/Jahr; persistierendes VHF: 3,0 %/Jahr; permanentes VHF: 4,2 %/Jahr [3].

Auch subklinisches Vorhofflimmern, das ohne klinische Symptome verläuft, erhöht das Apoplexrisiko. Eine Studie zeigte, dass Patienten mit subklinischem VHF ein 2,5-fach höheres Apoplexrisiko hatten als Patienten ohne entsprechende Episoden (Inzidenzrate: 4,2 vs. 1,7) [2].

Frauen sind doppelt so häufig vom Apoplex betroffen wie Männer (Rate Ratio 1,99; 95-Prozent-Konfidenzintervall: 1,46 bis 2,71) [6].

Am stärksten war in einer Studie das Risiko für einen Apoplex bei mindestens 5,5 Stunden anhaltendem Vorhofflimmern in der Zeit zwischen dem ersten und fünften Tag nach Vorhofflimmern erhöht. Dabei ging ein in den 30 Tagen vor einem Schlaganfall-Ereignis aufgetretenes Vorhofflimmern mit einem um den Faktor 3 höheren Schlaganfall-Risiko einherging (Odds-Ratio [OR]: 3,71; 95 % Konfidenzintervall [KI]: 2,06-6,70) [12].

Prognose

Die Prognose bei Vorhofflimmern hängt von mehreren Faktoren ab, darunter der Art und Dauer des Vorhofflimmerns sowie das Vorhandensein von Komorbiditäten.

In einer Metaanalyse wurde die jährliche Rate an Apoplexen und systemischen Embolien bei paroxysmalem Vorhofflimmern mit 1,50 % und bei nicht-paroxysmalem Vorhofflimmern mit 2,17 % berechnet. Das Risiko-Verhältnis (RR) für Thromboembolien bei nicht-paroxysmalem VHF gegen paroxysmales VHF war 1,355. Ohne orale Antikoagulation war das Risiko besonders hoch (Faktor 1,689) [7].

Vorhofflimmern führt zu einer 1,7-fach erhöhten Mortalität (Sterberate) [5]. Die Mortalität ist bei Frauen höher als bei Männern [1]. Zudem ist ein schwerer Verlauf bei Frauen häufiger (medianer NIHSS-Score von 9 vs. 6, p <0,001) [10].

Entscheidende Determinanten für die Mortalität bei Vorhofflimmern sind die Komorbiditäten: Herzinsuffizienz, chronische Nierenerkrankung und Diabetes mellitus; sowie Geschlecht, Alter und Rauchen. Arrhythmie-bezogene Parameter sind dagegen von geringer prädiktiver Bedeutung [11].

Komorbiditäten 

Die Women’s Health Study macht einen Zusammenhang zwischen Vorhofflimmern und Krebs wahrscheinlich. Justiert um Alter, Bildung, Körpergröße, BMI, Raucherstatus, körperlicher Aktivität, Begleit- und Folgeerkrankungen sowie Teilnahme an Screening-Untersuchungen lag für Frauen mit VHF das Risiko für eine Krebserkrankung um 48 % höher als bei Frauen ohne die Rhythmusstörung. Am höchsten war das Risiko kurz nach der Diagnosestellung des VHF, es hatte aber auch über das erste Jahr hinaus Bestand [8]. Des Weiteren haben 37 % der Patienten mit Vorhofflimmern eine Herzinsuffizienz [9]. 
Weitere Komorbiditäten sind arterielle Hypertonie (Bluthochdruck), koronare Herzkrankheit (KHK; Herzkranzgefäßerkrankung), Adipositas oder ein Schlafapnoe-Syndrom (Atemaussetzer im Schlaf, die durch die Verlegung der Atemwege entstehen und häufig mehrere hundertmal pro Nacht auftreten).

Literatur

  1. Sumeet S. Chugh et al.: Worldwide Epidemiology of Atrial Fibrillation: A Global Burden of Disease 2010 Study Circulation 2013, online 17. Dezember
  2. Brambatti M, Healey JS et al.: Temporal Relationship between Subclinical Atrial Fibrillation and Embolic Events. Circulation 2014, online 14. März
  3. Vanassche T et al.: Risk of ischaemic stroke according to pattern of atrial fibrillation: analysis of 6563 aspirin-treated patients in ACTIVE-A and AVERROES. Eur Heart J (2014). doi.org/10.1093/eurheartj/ehu307. First published online: 3 September 2014
  4. Dell‘ Orfano JT, Patel H, Wo lbrette DL, Luck JC, Naccarelli GV: Acute treatment of atrial fibrillation: Spontane ous conversion rates and cost of care. Am J Cardiol 1999; 83: 788-790
  5. Kannel WB, Abbot RD, Savage DD, McNamara PM: Epidemiologic features of chronic atrial fibrillation. The Framingham Study. N Engl J Med 1982; 306: 1018-22.
  6. Emdin CA et al.: Atrial fibrillation as risk factor for cardiovascular disease and death in women compared with men: systematic review and meta-analysis of cohort studies. BMJ 2016; 352. doi.org/10.1136/bmj.h7013
  7. Ganesan, A N, McGavigan A D et al.: The impact of atrial fibrillation type on the risk of thromboembolism, mortality, and bleeding: a systematic review and meta-analysis, Eur Heart J 2016. online 16. Februar. doi.org/10.1093/eurheartj/ehw007
  8. Conen D et al.: Risk of Malignant Cancer Among Women With New-Onset Atrial Fibrillation. JAMA Cardiol. 2016 Jul 1;1(4):389-96. doi: 10.1001/jamacardio.2016.0280.
  9. Santhanakrishnan R, Wang N, Larson MG et al.: Atrial fibrillation begets heart failure and vice versa: temporal associations and differences in preserved versus reduced ejection fraction. Circulation 2016 Feb 2;133(5):484-92. doi: 10.1161/CIRCULATIONAHA.115.018614. Epub 2016 Jan 8.
  10. Lang C, Seyfang L, Ferrari J et al.: Do Women With Atrial Fibrillation Experience More Serve Strokes? Results From the Austrian Stroke Unit Registry. Stroke 2017 doi: 10.1161/STROKEAHA.166.015900
  11. Näbauer M. et al.: Prognostic markers of all-cause mortality in patients with atrial fibrillation: data from the prospective long-term registry of the German Atrial Fibrillation NETwork (AFNET). Europace 2021. doi.org/10.1093/europace/euab113
  12. Singer DE et al.: Temporal Association Between Episodes of Atrial Fibrillation and Risk of Ischemic Stroke. JAMA Cardiol.

Leitlinien

  1. Fuster V, Ryden LE, Cannom DS, Crijns HJ, Curtis AB, Ellenbogen KA et al.: ACC/AHA/ESC 2006 guidelines for the management of patients with atrial fibrillation – executive summary – A report of the American College of Cardiology/American Heart Association Task Force on practice guidelines and the European Society of Cardiology Committee for Practice Guidelines (Writing Committee to Revise the 2001 Guidelines for the Management of Patients with Atrial Fibrillation).  Developed in collaboration with the European Heart Rhythm Association and the Heart Rhythm Society. European Heart Journal 2006; 27(16):1979-2030
  2. Camm AJ, Kirchhof P, Lip GY et al.: Guidelines for the management of atrial fibrillation: the task force for the management of atrial fibrillation of the European Society of Cardiology (ESC). European Heart Journal, 2010, 2369–2429. doi.org/10.1093/eurheartj/ehq278
  3. S1-Leitlinie: Neue orale Antikoagulantien. (AWMF-Registernummer: 053-031), September 2013
  4. S1-Leitlinie: Bridging. (AWMF-Registernummer: 053-027), September 2013 Kurzfassung Langfassung
  5. Andrade AA et al.: Clinical Benefit of American College of Chest Physicians versus European Society of Cardiology Guidelines for Stroke Prophylaxis in Atrial Fibrillation. J Gen Intern Med. 2015 Feb 10. doi: 10.1007/s11606-015-3201-1
  6. Hindricks G et al.: 2020 ESC Guidelines for the diagnosis and management of atrial fibrillation developed in collaboration with the European Association of Cardio-Thoracic Surgery (EACTS): The Task Force for the diagnosis and management of atrial fibrillation of the European Society of Cardiology (ESC) Developed with the special contribution of the European Heart Rhythm Association (EHRA) of the ESC European Heart Journal, ehaa612, 29 August 2020 https://doi.org/10.1093/eurheartj/ehaa612