Asperger-Syndrom – Einleitung

Das Asperger-Syndrom (AS) ist eine tiefgreifende Entwicklungsstörung, die im Autismusspektrum verortet wird. Es wird charakterisiert durch Schwierigkeiten in der sozialen Interaktion und Kommunikation sowie durch eingeschränkte, repetitive und stereotype Verhaltensweisen und Interessen. Anders als beim klassischen Autismus sind beim Asperger-Syndrom die kognitiven und sprachlichen Fähigkeiten in der Regel nicht signifikant beeinträchtigt. Das Asperger-Syndrom ist nach der ICD-10 klassifiziert unter F84.5.

Ätiologie

Die genauen Ursachen des Asperger-Syndroms sind nicht vollständig geklärt, es wird jedoch angenommen, dass genetische Faktoren eine wesentliche Rolle spielen. Studien haben gezeigt, dass das Risiko für Autismus-Spektrum-Störungen bei Geschwistern und Verwandten ersten Grades signifikant erhöht ist. Umweltfaktoren während der pränatalen Entwicklung könnten ebenfalls eine Rolle spielen, sind aber weniger gut verstanden.

Pathophysiologie

Die Pathophysiologie des Asperger-Syndroms ist komplex und multifaktoriell. Neurologische Untersuchungen und bildgebende Verfahren haben Anomalien in verschiedenen Gehirnregionen gezeigt, einschließlich des Frontal- und Temporallappens, des Kleinhirns und des limbischen Systems. Diese Anomalien betreffen oft die neuronale Konnektivität und die synaptische Funktion, was zu den charakteristischen Symptomen des Syndroms führt.

Klinik

Die klinischen Merkmale des Asperger-Syndroms umfassen:

  • Soziale Interaktion: Schwierigkeiten, soziale Signale zu verstehen, Probleme mit der Empathie, Schwierigkeiten beim Aufbau und Aufrechterhalten von Freundschaften.
  • Kommunikation: Eher formale und pedantische Sprache, Schwierigkeiten beim Verstehen von Ironie und Metaphern, monotone oder ungewöhnliche Sprachmelodie.
  • Verhaltensmuster: Intensives Interesse an spezifischen Themen, repetitive Verhaltensweisen und Routinen, motorische Ungeschicklichkeit oder auffällige Bewegungsmuster.
  • Kognitive Fähigkeiten: Oft normale bis überdurchschnittliche Intelligenz, starke Detailorientierung, Schwierigkeiten mit der Verarbeitung abstrakter Konzepte.

Epidemiologie

Geschlechterverhältnis: Männer sind etwa viermal häufiger betroffen als Frauen.

Häufigkeitsgipfel: Die Diagnose wird meist im Kindes- und Jugendalter gestellt, kann aber auch erst im Erwachsenenalter erfolgen.

Prävalenz (Krankheitshäufigkeit) für eine Autismus-Spektrum-Störung (ASS) liegt bei 0,9-1,1 % [1]. Dabei wird davon ausgegangen, das auf drei diagnostizierte Patienten zwei Patienten kommen, deren Störung bislang nicht diagnostiziert wurde. 
Asperger-Syndrom: Etwa 0,02-0,03 % der Bevölkerung sind betroffen.

Inzidenz (Häufigkeit von Neuerkrankungen) des Asperger-Syndroms beträgt ca. 20-30 Erkrankungen pro 100.000 Einwohner pro Jahr.

Verlauf und Prognose

Der Verlauf des Asperger-Syndroms ist variabel und hängt stark von den individuellen Umständen und der Qualität der Unterstützung und Therapie ab. Viele Betroffene können im Erwachsenenalter ein weitgehend unabhängiges Leben führen, insbesondere wenn sie frühzeitig und kontinuierlich unterstützt wurden. Dennoch bleibt das Syndrom eine lebenslange Herausforderung, insbesondere im sozialen und beruflichen Bereich. Komorbide psychische Störungen können den Verlauf zusätzlich komplizieren.

Komorbiditäten 

Bis zu 70 % der Patienten mit AS leiden unter Komorbiditäten (Begleiterkrankungen), insbesondere Angststörungen oder Depressionen.
Bei Erwachsenen ohne Intelligenzminderung mit der Diagnose Autismus-Spektrum-Störung ist die Prävalenzrate von Persönlichkeitsstörungen sehr hoch, aber auch affektive Störungen, Angststörungen, ADHS, Tic-Störungen, psychotische sowie weitere Störungen liegen häufig komorbid vor. Weitere mögliche Komorbiditäten sind bipolare Störung, Epilepsie (Krampfanfälle), Essstörung, generalisierte Angststörung (GAS), Insomnie (Schlafstörungen), Mutismus (lat. mutitas „Stummheit“, mutus „stumm“; psychogenes Schweigen), Psychose, selbstverletzendes Verhalten, soziale Phobie, Tourette-Syndrom (Synonym: Gilles-de-la-Tourette-Syndrom, GTS; eine neurologisch-psychiatrische Erkrankung, die durch das Auftreten von Tics charakterisiert ist), Zwangsstörung und Substanzmissbrauch.

Literatur

  1. Fombonne E, Quirke S, Hagen A (2011): Epidemiology of pervasive developmental disorders. In: D. G. Amaral, G. Dawson und D. H. Geschwind (Hg.): Autism Spectrum Disorders. New York: Oxford University Press, S. 90-111.

Leitlinien

  1. Interdisziplinäre S3-Leitlinie: Autismus-Spektrum-Störungen im Kindes-, Jugend- und Erwachsenenalter Teil 1: Diagnostik . (AWMF-Registernummer: 028-018), April 2016 Langfassung