Homocystein entsteht beim Abbau der essentiellen Aminosäure Methionin und wird beim Gesunden sofort weiter umgewandelt, sodass es nur in geringen Mengen im Körper vorhanden ist.
Im Rahmen einer Hyperhomocysteinämie (Synonym: Homocysteinämie) ist die Blut-Konzentration von Homocystein (Hcy) erhöht.
Durch die Homocysteinämie kommt es zu einer Schädigung des Endothels (dünne Schicht aus Endothelzellen, die das Innere von Blutgefäßen auskleidet) und zur Inaktivierung des Protein C (→ Thrombose und Thromboseembolierisiko↑). Gleichzeitig kommt es zu einer Aktivierung des Faktor V (Proakzelerin), der die Blutgerinnung fördert.
Eine Hyperhomocysteinämie kann unter anderem genetisch bedingt sein. Dies ist bei einem Polymorphismus der Methylen-Tetrahydrofolat-Reduktase (MTHFR) der Fall: der Erbgang ist autosomal-rezessiv; Punktmutation; Enzymaktivität MTHFR ist bei den Betroffenen um 35-90 % reduziert:
- "Wildtyp" – (normale, nicht mutierte Genvariante = gesund); Häufigkeit: 40-50 % in europäischstämmigen Populationen
- heterozygoter Merkmalsträger; Allel-Konstellation: CT (35 % Einschränkung des Folsäuremetabolismus); Häufigkeit: 45-47 % (Homocystein-Werte von 11,9 ± 2,0 μmol/l [1])
- homozygoter Merkmalsträger; Allel-Konstellation: TT (80-90 % Einschränkung des Folsäuremetabolismus); Häufigkeit: 12-15 % (Homocystein-Werte von 14,4 ± 2,9 μmol/l [1])
Des Weiteren können genetische bedingte Enzymdefekte, welche die Cystathionin-β-Synthase (CBS), die Cystathionin-Lyase (CL), die Homocystein-Methyltransferase (HMT) oder die Betain-Homocystein-Methyltransferase (BHMT) betreffen, einen zum Teil gravierenden Einfluss auf die Homocysteinwerte nehmen. Es kommt zur Entstehung einer mittleren Homocysteinämie (Homocystein-Werte > 30-100 µmol/l) sowie schweren Homocysteinämie (Homocystein-Werte > 100 µmol/l).
Das Verfahren
Benötigtes Material
- Citrat-stabilisierendes EDTA-Plasma
- Serum möglich
- Ggf. Spezialröhrchen anfordern (zugesetzter Stabilisator verhindert zuverlässig die Freisetzung von Homocystein aus den Erythrozyten; Homocysteinkonzentration ist dadurch bis zu 36 Stunden ohne Zentrifugation bei Raumtemperatur stabil)
Störfaktoren
- Die Abnahme sollte nüchtern erfolgen, da in der Nahrung befindliches Methionin zu einer Erhöhung der Homocystein-Konzentration führt.
- Rauchen, Kaffee, Alkohol und eine vegetarische Diät erhöhen die Homocysteinkonzentration.
- Da Homocystein von den Erythrozyten (rote Blutkörperchen) synthetisiert wird, muss das Plasma möglichst schnell von dem Blutzellen getrennt gelagert werden.
Normwerte
Normwerte in µmol/l |
Therapeutische Konsequenzen | |
Günstig | < 10 | Kein Handlungsbedarf |
Tolerabel (bei Gesunden) | 10-12 | Therapie notwendig für Patienten mit erhöhten Risiko für atherosklerotische Erkrankungen! Details dazu s. u. Hyperhomocysteinämie/Weitere Therapie. |
Indikationen (Anwendungsgebiete)
- Thrombophiliediagnostik (es wird nach Mutationen im MTHFR-Gen gefahndet); Patienten mit thromboembolischen Erkrankungen
- Risikostratifizierung des Atherosklerose-Risikos
- Vermuteter Mangel an Folsäure, Vitamin B6 oder Vitamin B12
- Diagnostik der Homocysteinämie bei Vorliegen von Gefäßerkrankungen (Myokardinfarkt/Herzinfarkt, Apoplex/Schlaganfall etc.)
- Indikator eines erworbenen Folat (Folsäure) oder Vitamin B6- und B12-Mangels
- Verdacht auf Homocystinurie* – angeborene Stoffwechselstörung
- Diagnostik der Hyperhomocysteinämie präkonzeptionell (vor der Empfängnis), das heißt Untersuchung im Rahmen der Familienplanung/Kinderwunsch, da eine Homocysteinämie ein Risikofaktor für Neuralrohrdefekte (Spina bifida/offener Rücken) etc. ist.
*Zwei Moleküle Homocystein (Hcy) können sich über eine Disulfidbrücke zum Homocystin verbinden. Bei erhöhtem Homocysteinspiegel im Blut (= Homocsyteinämie) wird Homocystin mit dem Urin ausgeschieden (Homocystinurie).
Interpretation
Interpretation erhöhter Werte
Formen der Homocysteinämie [2, 3] | Serumwerte in µmol/l | Therapeutische Konsequenzen |
Leichte Homocysteinämie (meist Vitalstoff-Mangel: B6, B12, Folsäure) |
> 12-30 | Therapie notwendig für alle (Gesunde und Patienten) |
Mittlere Homocysteinämie |
> 30-100 | Therapie notwendig! |
Schwere Homocysteinämie | > 100 | Therapie notwendig! |
Beachte:
- Frauen haben niedrige reguläre Homocystein-Konzentrationen als Männer.
- Im Alter steigt der Homocystein-Wert an, bei Männern bereits ab dem 45. Lebensjahr, bei Frauen nach der Menopause (= letzte Menstruation im Leben einer Frau, ohne dass eine Entfernung der Gebärmutter vorliegt).
- Bei chronischer Niereninsuffizienz (Nierenschwäche) ist eine Hyperhomocysteinämie häufig. Ursachen sind mangelnde Ausscheidung von Homocystein, der katabole Zustand und latenter Vitaminmangel.
Details zur Therapie s. u. Hyperhomcysteinämie/Weitere Therapie.
Weitere Hinweise
- Eine Homocysteinämie ist ein unabhängiger Risikofaktor für vaskuläre Erkrankungen (Gefäßerkrankungen), vor allem für Myokardinfarkt (Herzinfarkt) und Apoplex (Schlaganfall), aber auch für die periphere arterielle Verschlusskrankheit (pAVK).
- Laut eines von Experten verfassten Konsensuspapiers ist es möglich, durch Senkung des Homocystein-Spiegels etwa 25 Prozent der kardiovaskulären Ereignisse – Myokardinfarkt (Herzinfarkt) oder Apoplex (Schlaganfall) – zu vermeiden.
- Steigt der Homocystein-Spiegel um nur 0,5 µmol/l, so erhöht sich das Risiko für einen Herzinfarkt um das 2,5-fache und die Gefahr für ein Apoplex (Schlaganfall) und arterielle Verschlusskrankheit steigt sogar auf das 5-fache.
- Neue Forschungsergebnisse weisen zudem darauf hin, dass eine Homocysteinämie ein unabhängiger Risikofaktor für eine vaskuläre (gefäßbedingte) Demenz sowie für einen Morbus Alzheimer ist.
Weitere Diagnostik
- Handelt es sich um eine erworbene Homocysteinämie, kann zusätzlich eine Bestimmung der Vitamine erfolgen:
- Vitamin B6 (Pyridoxin)
- Vitamin B12 (Cobalamin)
- Folsäure
Literatur
- Nakai K, Itoh C, Nakai K, Habano W, Gurwitz D. Correlation between C677T MTHFR gene polymorphism, plasma homocysteine levels and the incidence of CAD. Am J Cardiovasc Drugs. 2001;1(5):353-61.
- Ganguly P, Alam SE. Role of homocysteine in the development of cardiovascular disease. Nutr J. 2015 Jan 10; 14:6.
- Hankey GJ, Eikelboom JW. Homocysteine and vascular disease. Lancet. 1999 Jul 31;354(9176):407-13.