Brachytherapie

Brachytherapie (griech. brachys = kurz) ist eine Kurzdistanz-Radiotherapie, bei der der Abstand zwischen der Strahlungsquelle und dem klinischem Zielvolumen weniger als 10 cm beträgt. Der wesentliche Vorteil der Brachytherapie ist, dass sich die Strahlungsquelle in unmittelbarer Nähe zum Tumor befindet und dadurch das umgebende gesunde Gewebe maximal geschont wird. Empfehlenswert ist diese Art der Radiotherapie insbesondere dann, wenn eine Erhöhung der Bestrahlungsdosis (Boost) vorgenommen werden muss oder wenn ein Tumorvolumen ohne seine Ausbreitungswege bestrahlt werden soll.
Als Strahlungsquelle werden heutzutage punkt- oder linienförmige Gamma-/Betastrahler von nur wenigen Millimetern Länge und ca. 1 mm Durchmesser verwendet. Diese können in ganz unterschiedliche Applikatoren eingeführt werden, sodass sogar Koronargefäße des Herzens einer Kurzdistanz-Bestrahlung zugänglich sind.

Es werden grundsätzlich drei Prinzipien der Brachytherapie unterschieden:

  1. Oberflächenkontakttherapie: Die Strahlenquelle wird in Kontakt mit der Oberfläche des Patienten gebracht (z. B. Haut).
  2. Intrakavitäre Therapie: Die Strahlenquelle wird in eine Körperhöhle eingebracht (z. B. Uterus/Gebärmutter).
  3. Interstitielle Therapie: Die Strahlungsquelle wird über einen Applikator direkt ins Tumorgewebe temporär oder permanent implantiert (z. B. Seed-Implantation in die Prostata).

In Abhängigkeit von der Dosisrate unterscheidet man zudem:

  • LDR-Brachytherapie (LDR steht für "low dose rate"): dabei werden dünne Hohlnadeln, ca. 4 mm lange dünne Stifte (fachsprachlich „seeds“) von schwach radioaktivem Jod-125 in die Prostata eingebracht (= Seed-Implantation in die Prostata); Indikation: kleinere und weniger aggressive Tumoren der Prostata (Niedrig-Risiko-Prostatakarzinom)
  • HDR-Brachytherapie (HDR steht für "high dose rate"); wird im Regelfall zusammen mit einer perkutanen Bestrahlung, das heißt Bestrahlung von außen, kombiniert; Indikation: lokal begrenzte Tumoren der Prostata

Indikationen (Anwendungsgebiete)

Die Brachytherapie eignet sich für leicht zugängliche Tumoren, d. h. diese liegen z. B. an der Körperoberfläche oder in Hohlorganen bzw. können operativ freigelegt werden.

  • Oberflächenkontakttherapie: Diese findet oftmals in der Dermatologie und Ophthalmologie Verwendung, wenn die Tumoren z. B. auf der Haut, im Epipharynx (Nasenrachenraum) oder Augapfel liegen.
  • Intrakavitäre Brachytherapie:
    • Gynäkologie: Karzinome des Corpus uteri (Gebärmutterkörper), der Cervix uteri (Gebärmutterhals), Scheide, Blase
    • Einlage in Gangsysteme, die zuvor durch einen Tumor verschlossen waren und mithilfe eines Lasergeräts geöffnet wurden: Gallengänge, Bronchien, Oesophagus (Speiseröhre) etc.
    • Intrakoronare Strahlentherapie nach Koronardilatation (Herzkranzgefäßerweiterung) zur Stenoseprophylaxe im Rahmen einer PTCA (perkutane transluminale Koronarangioplastie).
  • Interstitielle Brachytherapie: Karzinome in den Halslymphknoten, am Mundboden, an der Cervix uteri (Gebärmutterhals), in der Prostata oder in der Mamma (Brustdrüse; bei Niedrigrisikopatienten).

Das Verfahren

Aufgrund von Strahlenschutzgründen wird die Brachytherapie heutzutage nach dem Prinzip des Afterloading (Nachladeverfahren) durchgeführt. Dafür werden zunächst nicht-radioaktive Applikatoren (z. B. Hülsen, Schläuche etc.) in die gewünschte Position gebracht. Nach röntgenlogischer Überprüfung des korrekten Sitzes und Fixierung werden erst im Nachhinein die radioaktiven Quellen ferngesteuert in bzw. durch die Applikatoren eingebracht. Dadurch befindet sich das Personal außerhalb des Bestrahlungsraumes.

  1. Oberflächenkontakttherapie: Das Zielvolumen liegt bei dieser Therapie sehr oberflächlich, sodass die Strahlung nur einige Millimeter eindringen muss. Bei den Strahlenquellen handelt es sich dabei um reine Betastrahler wie z. B. Sr-90 (Strontium)-Präparate oder Ru-106 (Ruthenium)/Rh-106 (Rhodium)-Strahler mit einem kleinen Gammaanteil (1-2 %) und einer therapeutischen Reichweite von ca. 7 mm. Als Applikator werden kleine Schalen zum Aufbringen auf den Augapfel verwendet oder plastisch verformbares Material, aus dem Moulagen anhand von äußeren Konturen (z. B. Hautoberfläche) oder inneren Hohlräumen (z. B. Rachendach) gefertigt und in die im Afterloading Strahlenquellen eingebracht werden können.
  2. Intrakavitäre Therapie: Als Strahlenquelle dienen heute meist Iridium-192 als Gammastrahler oder seltener Iod-125, Strontium-90/Yttrium-90 und Phosphor-60. Die Applikatoren sind in Form und Größe der jeweiligen Körperhöhle angepasst (Zylinder, Ei, Stift, Platte etc.) und werden gemäß dem Afterloading-Prinzip zunächst positioniert und danach ferngesteuert mit der radioaktiven Quelle bestückt. Die Dosierung der Bestrahlung erfolgt gemessen ab der Schleimhautoberfläche bis in eine bestimmte Gewebetiefe. Nach einer Strahlentherapiesitzung werden alle Applikatoren wieder aus dem Körper entfernt. 
  3. Interstitielle Therapie: Die radioaktiven Strahler werden direkt in das Tumorgewebe oder in seine unmittelbare Umgebung eingebracht. Wie bei der intrakavitären Therapie wird auch hier zunächst ein Applikator (Nadeln/Seed-Therapie oder Schläuche) platziert und die Strahlenquelle erst im Nachladeverfahren eingeführt. Es wird zwischen temporärer (Quelle wird nach der Bestrahlung wieder aus dem Gewebe entfernt) und permanenter Implantation (Quelle verbleibt zeitlebens im Gewebe) unterschieden. Als Quellen kommen heute Iod, Palladium-103 oder Iridium-192 in Betracht.

Mögliche Komplikationen

Nicht nur Tumorzellen, sondern auch gesunde Körperzellen werden von einer Radiotherapie geschädigt. Daher ist stets sorgsam auf radiogene Nebenwirkungen zu achten und diese zu verhüten, ggf. rechtzeitig zu erkennen und therapieren. Hierfür sind eine gute Kenntnis der Strahlenbiologie, Bestrahlungstechnik, Dosis und Dosisverteilung sowie eine permanente klinische Beobachtung des Patienten notwendig. Die möglichen Komplikationen einer Strahlentherapie sind wesentlich abhängig von der Lokalisation und Größe des Zielvolumens. Besonders bei einer hohen Wahrscheinlichkeit des Auftretens von Nebenwirkungen müssen prophylaktische Maßnahmen getroffen werden. Häufige Komplikationen einer Strahlentherapie:

  • Darmerkrankungen: Enteritiden (Darmentzündungen mit Übelkeit, Erbrechen etc.), Strikturen, Stenosen, Perforationen, Fisteln
  • Einschränkungen des hämatopoetischen Systems (blutbildendes System), insbesondere Leukopenien (gegenüber der Norm verminderte Anzahl von weißen Blutkörperchen (Leukozyten) im Blut) und Thrombozytopenien (gegenüber der Norm verminderte Anzahl von Blutplättchen (Thrombozyten) im Blut)
  • Lymphödeme
  • Mukositiden (Schleimhautschädigungen) des Atmungs- und Verdauungstraktes
  • Perikarditis (Herzbeutelentzündung) (6 Monate bis 2 Jahre nach der Therapie)
  • Radiogene Dermatitis (Strahlendermatitis; strahlenbedingte Hautentzündungen) 
  • Radiogene Pneumonitis (Sammelbegriff für jede Form der Lungenentzündung (Pneumonie), welche nicht die Alveolen (Lungenbläschen), sondern das Interstitium bzw. den Zellzwischenraum betrifft) bzw. Fibrose
  • Radiogene Nephritis (Strahlennephropathie; strahlenbedingte Nierenentzündung) bzw. Fibrose
  • Sekundärtumoren (Zweittumoren)
  • Strahlensynddrome im zentralen Nervensystem (wenige Monate bis mehrere Jahre nach der Therapie)
  • Teleangiektasien (sichtbare Erweiterungen oberflächlich gelegener kleiner Blutgefäße)
  • Zahn- und Zahnfleischschäden
  • Zystitiden (Harnblasenentzündungen), Dysurien (erschwerte Blasenentleerung), Pollakisurien (häufiges Wasserlassen)

Weitere Hinweise

  • Die LDR-Brachytherapie als Monotherapie für Männer mit Prostatakarzinom (Prostatakrebs) wird durchgeführt, wenn folgende Bedingungen vorliegen:
    • Stadium cT1b-T2a, ISUP 1 (Gleason 3+3), sofern maximal die Hälfte der Biopsiestanzen (Probeentnahmen) betroffen ist, bzw. bei ISUP-Grad 2 (Gleason 3+4), sofern maximal ein Drittel der Stanzen positiv ist. 
    • PSA-Wert von maximal 10 ng/ml und ein Prostatavolumen von maximal 50 ml 
    • Abwesenheit schwerer Miktionsstörungen (Blasenentleerungsstörungen)
    Ergebnis [6]: Nach zehn Jahren sind schätzungsweise 85 % der Patienten, die mit LDR-Brachytherapie behandelt werden, rezidivfrei (Kein Wiederauftreten der Erkrankung).
  • Die akzelerierte Teilbrustbestrahlung mit interstitieller Brachytherapie (Accerlerated Partial Breast Irradiation with Interstitial Brachytherapy, APBI-IBT) verkürzt die mehrwöchige Radiatio nach brusterhaltender Operation vom Mammakarzinom im Frühstadium (bis Stadium IIA) auf wenige Tage. Das Verfahren war auch nicht in Bezug auf das krankheitsfreie sowie das Gesamtüberleben unterliegen [5].

Literatur

  1. Sauer R: Strahlentherapie und Onkologie. Elsevier Verlag 2010
  2. Lohr F, Wenz F: Strahlentherapie kompakt. Elsevier Verlag 2007
  3. Richter E, Feyerabend T: Grundlagen der Strahlentherapie. Springer Verlag 2002
  4. Wennenmacher M, Debus J, Wenz F: Strahlentherapie. Springer Verlag 2006
  5. Polgar C et al.: Late side-effects and cosmetic results of accelerated partial breast irradiation with interstitial brachytherapy versus whole-breast irradiation after breast-conserving surgery for low-risk invasive and in-situ carcinoma of the female breast: 5-year results of a randomised, controlled, phase 3 trial. Lancet Oncol 2017, online 13. Januar. doi: 10.1016/S1470-2045(17)30011-6
  6. Viktorin P et al.: Long-term oncological and functional follow-up in low dose rate brachytherapy (LDRBT) for prostate cancer: results from the prospective nation-wide Swiss Registry. BJU Int 2020; https://doi.org/10.1111/BJU.15003

     
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