Intravenöse Anästhesie (IVA)/total intravenöse Anästhesie (TIVA )

Die intravenöse Anästhesie (IVA) bildet zusammen mit der total intravenösen Anästhesie (TIVA) ein Teilgebiet der Allgemeinanästhesie. Unter Allgemeinanästhesie wird die herkömmliche Narkose bzw. Vollnarkose (griech. nàrkosi: in Schlaf versetzen) verstanden. Der Name dieser Anästhesieform bezieht sich auf die ausschließlich intravenöse Gabe des Anästhetikums. Im Gegensatz zur balancierten Anästhesie und zur Inhalationsanästhesie wird auf ein Inhalationsanästhetikum verzichtet. Die IVA unterscheidet sich von der TIVA durch die Anwendung von Lachgas (Distickstoffmonoxid), auf die bei der TIVA verzichtet wird.

Indikationen (Anwendungsgebiete)

Prinzipiell kann eine IVA bzw. TIVA bei kurzen, mittellangen und langen Eingriffen durchgeführt werden. Da die heute eingesetzten Medikamente nach kurzer Zeit sehr wirksam sind, eignet sich die IVA/ TIVA für sehr kurze Eingriffe besonders gut. Zudem ist die Aufwachzeit der Patienten nur kurz, sodass diese Anästhesieform bei ambulanten Operationen problemlos eingesetzt werden kann. Eine weitere Indikation für eine IVA/ TIVA besteht, wenn aufgrund einer Disposition zur malignen Hyperthermie (MH; Synonyme: maligne Hyperpyrexie, Narkose-Hyperthermie-Syndrom) ein Inhalationsanästhetikum kontraindiziert (d. h. darf nicht verwendet werden) ist. Die maligne Hyperthermie ist eine lebensgefährliche Stoffwechselentgleisung, die durch eine genetisch-bedingte Fehlregulation innerhalb der Skelettmuskulatur verursacht wird. Neben zahlreichen Symptomen tritt eine starke Erhöhung der Körpertemperatur auf. Volatile Inhalationsanästhetika (Narkosemittel, die über einen Verdampfer (Vaporizer) des Narkosegerätes verabreicht werden) und sogenannte depolarisierende periphere Muskelrelaxantien (Medikamente, die zur Muskelentspannung führen) können diese Reaktion triggern.

Die TIVA ist der IVA vorzuziehen, wenn die Anwendung von Lachgas mögliche Nachteile birgt. Hierzu zählen z. B. Probleme, die durch Druck- oder Volumenzunahme in lufthaltigen Körperhöhlen entstehen, wie z. B. eine Druckzunahme im Mittelohr bei Verschluss der Tuba eustachii (Paukengang). Ein weiterer Vorteil der TIVA besteht, wenn eine intensive Beatmung mit 100 % Sauerstoff erforderlich ist. Diese Situation tritt z. B. bei einer Bronchoskopie (Lungenspiegelung) oder bei Patienten mit einer schweren respiratorischen Insuffizienz (Unfähigkeit adäquat zu atmen bzw. den Sauerstoff aufzunehmen) auf.

Kontraindikationen (Gegenanzeigen)

  • Keine Möglichkeit zur Beatmung – Aufgrund der atemdepressiven Wirkung der Opioide muss immer die Möglichkeit zur Beatmung bestehen.
  • Opioidallergie

Vor der Operation

Vor jeder Operation muss der Anästhesist (Narkosearzt) ein Aufklärungsgespräch mit dem Patienten zur Klärung von Fragen, Erhebung der Anamnese, sowie zur Unterrichtung über Risiken und Komplikationen durchführen.

Der Patient erhält häufig eine Prämedikation. Diese wird ca. 45 Minuten vor dem Eingriff verabreicht und dient vor allem der Anxiolyse (Angstauflösung).

Unmittelbar vor der Narkoseeinleitung vergewissert sich der Anästhesist der Identität des Patienten, damit es nicht zu Verwechslungen kommt. Obligatorisch sind die Frage nach der letzten Nahrungsaufnahme sowie die Prüfung des Mund- und Zahnstatus (auch für die forensische Nachvollziehbarkeit im Falle von Schäden bei einer Intubation). Vor jeder geplanten Narkose muss der Patient nüchtern sein, da sonst das Risiko der Aspiration (Verschleppung von Nahrungsresten in die Atemwege) erhöht ist. Bei Notfalleingriffen von nicht nüchternen Personen wird auf eine besondere Form der Narkoseeinleitung, der Rapid Sequence Induction, zurückgegriffen, um dem gesteigerten Aspirationsrisiko Rechnung zu tragen.

Nun wird das medizinische Monitoring begonnen, dieses enthält:
Elektrokardiogramm (EKG), Pulsoxymetrie (Messung von Puls und Sauerstoffgehalt des Blutes), venöser Zugang (für die Narkosemedikamente und andere Medikamente), Blutdruckmessung (ggf. invasive arterielle Blutdruckmessung bei Risikopatienten).

Das Verfahren

Die TIVA zeichnet sich durch ein Dosierungsregime aus, das sich eng an der Pharmakokinetik der verabreichten Substanzen orientiert. Ziel ist es, die Substanzplasmaspiegel der Medikamente in einem Gleichgewichtszustand bzw. "steady state" zu halten. Außerdem müssen die Wirkspiegel flexibel an die Operationsphasen anpassbar sein, hierzu eignen sich kurzwirksame Substanzen, die entweder manuell oder mithilfe eines Computers verabreicht werden. Zunächst wird ein Bolus (Injektion, die dazu dient, in einem bestimmten, verhältnismäßig kurzen Zeitraum eine definierte Menge eines Arzneistoffes zu verabreichen) gegeben, der die Substanzkonzentration initial aufsättigt, anschließend wird die Erhaltungsdosis z. B. über eine Infusionspumpe appliziert. Bei der total intravenösen Anästhesie bzw. der intravenösen Anästhesie kommt die Kombination der folgenden unterschiedlichen Substanzen zum Einsatz:

  • Hypnotika (Schlafmittel) bzw. i. v. Anästhetika zur Hypnose und Amnesie (Gedächtnisverlust); ein bekanntes Hypnotikum ist z. B. Propofol
  • Opioide zur Analgesie (Aufhebung des Schmerz), Dämpfung der vegetativen Reflexe; z. B. Remifentanil
  • Muskelrelaxantien (Erschlaffung der Muskulatur)
  • IVA: Lachgas
  • Sauerstoff

Die TIVA bzw. IVA kann als Maskennarkose, Intubationsnarkose oder mithilfe einer Larynxmaske (Kehlkopfmaske) durchgeführt werden (siehe Allgemeinanästhesie).

Nach dem Eingriff

Nach einer Allgemeinanästhesie ist eine umfangreiche Überwachung des Patienten indiziert, die in der Regel in einem Aufwachraum durch erfahrenes Fachpflegepersonal durchgeführt wird. Neben der chirurgischen Nachbetreuung steht die Beobachtung des Herzkreislaufsystems des Patienten im Mittelpunkt.

Mögliche Komplikationen

  • Anaphylaktische (systemisch-allergische) Reaktion – z. B. auf Medikamente.
  • Aspiration von Mageninhalt
  • Bradykardie – Verlangsamung der Herzaktivität bzw. des Herzschlags.
  • Blutdruckabfall
  • Intubationsschäden – z. B. Schäden vor allem den Frontzähnen beim Einführen des Tubus oder weitere Verletzungen im Mund- und Rachenbereich.
  • Hypothermie (Unterkühlung)
  • Luftembolie – Verlegung eines Gefäßes durch Luftbläschen, die während der Operation in das Gefäßsystem gelangen.
  • Störungen der Atmung
  • Nausea (Übelkeit)/Erbrechen

Literatur

  1. Larsen R: Anästhesie. Elsevier, Urban & Fischer 2006
  2. Striebel HW: Die Anästhesie: Grundlagen und Praxis. Schattauer Verlag 2010
  3. Kretz FJ: Anästhesie und Intensivmedizin. Springer Verlag 2006