Pathogenese (Krankheitsentstehung)
Die genaue Pathogenese des Hörsturzes ist unklar, man spricht deshalb von einer akuten idiopathischen Innenohrschwerhörigkeit. Vermutete Ursachen des Hörsturzes sind:
- Rheologische Regulationsstörungen (Störungen der Fließeigenschaften des Blutes)
- Vaskuläre Regulationsstörungen/Durchblutungsstörungen (Gefäßregulationsstörungen; Mikroembolien (Verschluss kleiner Blutgefäße durch einen Embolus/Gefäßpropf); venöse Stase/Stockung)
- Störung der Ionenkanäle (wie endolymphatischer Hydrops/vermehrte Auftreten von Wasser beziehungsweise seröser Flüssigkeit)
- Immunologische Vorgänge (z. B. durch neurotrope ("auf das Nervensystem wirkend") Viren)
Ätiologie (Ursachen)
Verhaltensbedingte Ursachen
- Genussmittelkonsum
- Tabak (Rauchen)
- Psycho-soziale Situation
- Psychische Belastungen
- Stress
Krankheitsbedingte Ursachen
- Akustikusneurinom (AKN) ‒ gutartiger Tumor, der von den Schwann'schen Zellen des vestibulären Anteils des VIII. Hirnnerven, dem Hör- und Gleichgewichtsnerven (Nervus vestibulocochlearis), ausgeht und im Kleinhirnbrückenwinkel oder im inneren Gehörgang gelegen ist. Das Akustikusneurinom ist der häufigste Kleinhirnbrückenwinkeltumor. Mehr als 95 % aller AKN sind einseitig. Bei Vorliegen von Neurofibromatose Typ 2 tritt das Akustikusneurinom hingegen typischerweise beidseitig auf.
- Arteria-vertebralis-Insuffizienz – Unvermögen der Wirbelsäulenarterie, genügend Blut ans Ohr zu pumpen
- Borreliose – bakterielle Infektion, die durch Zecken übertragen wird
- Cholesteatom (Synonym: Perlgeschwulst) des Ohres – Einwucherung von mehrschichtig verhornendem Plattenepithel in das Mittelohr mit nachfolgender chronisch-eitriger Entzündung des Mittelohrs
- Diabetes mellitus
- Einblutungen – beispielsweise bei Therapie mit Antikoagulantien (gerinnungshemmende Medikamente wie Phenprocoumon)
- Herpes zoster (Gürtelrose)
- Herzerkrankungen, die zu eingeschränkter Leistungsfähigkeit führen, wie beispielsweise Herzinsuffizienz (Herzschwäche)
- HWS-Gefügestörungen – Veränderungen an der Halswirbelsäule
- Innenohrembolie – Verschluss einer das Innenohr versorgenden Arterie mit resultierender Minderversorgung
- Perilymphfistel – durch Verletzung der Grenze zwischen Innen- und Mittelohr auftretende Verlagerung der Innenohrflüssigkeit ins Mittelohr
- Paraneoplastische Ursachen (in ca. 2 % der Fälle)
- Plötzliche Blutdruckabsenkung
- Schädelbasisfraktur
- Sludge-Phänomen – Verklumpung des Blutes aufgrund von Blutviskositätsstörungen
- Vasomotorische Störungen – Störungen in der Regulation der Gefäßweite
- Virusinfektionen (in ca. 13 % der Fälle) wie beispielsweise Meningitis, Syphilis (Lues), HIV
Labordiagnosen – Laborparameter, die als unabhängige Risikofaktoren gelten
- Hyperlipidämie (Fettstoffwechselstörung) – Gesamt-Cholesterin; Hypertriglyzeridämie (Fettstoffwechselstörung mit Erhöhung der Triacylglyceride (Triglyceride) im Blut): 54 % mehr Fälle von plötzlichen sensorineuralen Hörverlusts (SSNHL) [2]
- Hyperurikämie (Erhöhung des Harnsäurespiegels im Blut)
Medikamente
- Trizyklische Antidepressiva (TZA) und Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SNRI) – Im Vergleich zu Personen ohne Antidepressivum war das Risiko für einen Hörsturz unter einem SNRI um fast 80 % größer, unter einem Selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) um 36 % und unter einem TZA um 55 % [1].
Einschränkung: Kohortenstudie, Kausalzusammenhang nicht belegt
Umweltbelastung – Intoxikationen (Vergiftungen)
- Explosionstrauma, Knalltrauma
In ca. 70 % der Fälle liegt ein idiopathischer Hörsturz vor!
Literatur
- Zhong PX et al.: Antidepressants and risk of sudden sensorineural hearing loss: a population-based cohort study. Int J Epidemiol 2021; https://doi.org/10.1093/ije/dyab023
- Simões JFCPM et al.: Cardiovascular Risk and Sudden Sensorineural Hearing Loss: A Systematic Review and Meta-Analysis. Laryngoscope 2022; https://doi.org/10.1002/lary.30141