Ursachen
Parodontitis

Pathogenese (Krankheitsentstehung)

Parodontitis ist eine Erkrankung mit mehreren Ursachen, zu denen die Plaque mit den ihr lebenden Bakterien (Agregatibacter actinomycetemcomitans – fakultativ anaerob, häufig bei aggressiver Parodontitis; Porphyromonas gingivalis – streng anaerob, bei aggressiven und fortgeschrittenen Parodontitiden; Prevotella intermedia – streng anaerob, in großer Zahl bei aggressiver Parodontitis) zählen und die damit verbundenen Abwehrreaktionen sowie Fehlbelastungen des Zahnhalteapparates und die Zeit, die die in der Plaque lebenden Bakterien zur Verfügung haben und in der sich die parodontale Destruktion entwickeln kann. Weitere Markerkeime bei Parodontitis sind: Tanerella forsythesis und Treponema denticola.

Eine Parodontitis geht meist aus einer unbehandelten Gingivitis (Zahnfleischentzündung) hervor.

Mit dem Fortschreiten der Entzündung brechen mit der Zeit die körpereigenen Abwehrmechanismen gegen die subgingivalen Bakterien (Bakterien, die sich unter dem Zahnfleisch ansammeln) zusammen. Man kann nun eindeutig von einer subgingivalen Plaqueflora sprechen. Es kommt zur Taschenbildung und zu pathologischen Veränderungen des Wurzelzements infolge des Bakterienbefalls.

Faktoren, die die Plaquebildung begünstigen, sind unter anderem:

  • Mundatmung – führt zu Gingivitis im Frontzahnbereich, wahrscheinlich infolge von verminderter Benetzung mit Speichel und daraus folgender Austrocknung der Gingiva
  • Speichelfluss – Schutzmechanismus des Speichels ist eingeschränkt, wenn der Speichel zu viskös oder der Speichelfluss zu gering ist
  • Zahnstein – auf der rauhen Oberfläche kann die Plaque besser haften
  • Zahnanatomie – Schmelzperlen, Schmelzzungen, Einziehungen der Krone („palatal groove“)
  • Zahnengstand – bietet Ansiedlungsmöglichkeiten für die Plaque, die schwer zu reinigen sind
  • Restaurationsränder – bieten Nischen für die Ansammlung von Bakterien
  • Karies – Bakterienreservoir, aus dem sich schnell wieder eine pathogene Plaque entwickeln kann
  • Kieferorthopädische Apparaturen – erschweren die Reinigung
  • Ernährung – je kauzwingender und faserreicher die Nahrung, desto eher kann sie eine mechanisch reinigende Wirkung haben, Nahrung die sich in Zwischenräumen festsetzt, begünstigt die Plaque

Bei Systemerkrankungen wie beispielsweise bei Diabetes mellitus sind bei Parodontitis die Serumspiegel von Entzündungsmolekülen (z. B. C-reaktives Protein (CRP), Tumor-Nekrose-Faktor-α (TNF-α) und Interleukin-6 (Il-6)) im Plasma erhöht. Es liegt somit ein (subklinischer) chronischer systemischer Entzündungszustand vor.

Die Amöbe Entamoeba gingivalis (E. gingivalis), ein häufig im Mund vorkommender einzelliger Parasit, ist bei schwerer Parodontitis an der Gewebezerstörung und starken Entzündungsreaktion beteiligt. Während die bakterielle Vielfalt der Mundhöhle abnimmt, nimmt die Häufigkeit der Entamoeba gingivali zu. Entzündete Zahnfleischtaschen wiesen Amöben bei etwa 80 Prozent der Patienten auf, aber nur bei 15 Prozent der gesunden Probanden waren diese nachweisbar [6].

Parodontale Erkrankungen werden primär durch einen pathogenen mikrobiellen Biofilm und chronische Inflammation hervorgerufen.

Ätiologie (Ursachen)

Biographische Ursachen

  • Genetische Bealstung
    • Genetisches Risiko ist abhängig von genetischen Varianten, die ebenfalls das Risiko für Atherosklerose (Arteriosklerose, Arterienverkalkung) erhöhen (ANRIL, PLG, VAMP3/CAMTA1) oder in einem Zusammenhang mit dem Cholesterol- und Glucosemetabolismus stehen ( ANRIL, VAMP3/CAMTA1, NPY)
    • Genetische Erkrankungen
      • Chediak-Higashi-Syndrom (CHS) – Stoffwechselerkrankung mit schlechter Prognose; destruktive Parodontitis, Ursache lysomale Defekte, besonders bei Neutrophilen (Granulozyten sind eine Untergruppe der weißen Blutkörperchen (Leukozyten)) sowie Chemotaxis (Ausschüttung bzw. Bildung von Chemokinen (Botenstoffen) hervorgerufene Anlockung von Zellen des Immunsystems)
      • Cohen-Syndrom (Synonyme: engl.: Pepper syndrome oder Cervenka syndrome) – seltene Erkrankung aufgrund einer Mutation; extensiver alveolärer Knochenverlust
      • Ehlers-Danlos-Syndrom (EDS) – Bindegewebserkrankung, genetisch bedingt; gestörte Kollagensynthese, erhöhte Anfälligkeit für Parodontitis
      • Glykogenspeicher-Syndromautosomal-rezessiv vererbte Erkrankungen des Glykogenabbaus beziehungsweise der Glykogensynthese mit pathologisch gesteigerter Glykogenspeicherung in vielen Organen; verminderte Zahlen und gestörte Funktion der neutrophilen Leukozyten, dadurch vermehrt Auftreten von Parodontitiden
      • Haim-Munk-Syndrom (HMS) – autosomal-rezessiv vererbbares Syndrom, das nur in einer jüdischen Bevölkerungsgruppe in Indien beschrieben wurde. Symptome: palmoplantare Hyperkeratosen und aggressiv verlaufender Parodontitis
      • Histiozytose-Syndrom (Synonym: eosinophiles Granulom) – Langerhans-Zellhistiozytose (LCH) ist ein Oberbegriff für reaktiv-proliferative Erkrankungen mit Vermehrung von Histiozyten (Gewebsmakrophage) des Langerhans-Zellphänotyps; Läsionen, die klinisch einer nekrotisierenden, ulzerierenden Parodontitis ähneln
      • Hypophosphatasie (HPP; Synonyme: Rathbun-Syndrom, Phosphatasemangelrachitis; Phosphatasemangel-Rachitis) seltene, autosomal-rezessiv vererbte, angeborene Stoffwechselstörung mit verminderter Aktivität der alkalischen Phosphatase; Störungen des Skelettaufbau sowie weiterer Körperfunktionen, wie die Verdauung und die Nervenfunktion; typisch ist ein verfrühter Verlust sowohl der Milchzähne als auch der zweiten Dentition (Zahndurchbruch aus dem Kiefer in die Mundhöhle); fast vollständiges Fehlen der Zementbildung führt zu raschem parodontalem Zusammenbruch
      • Infantile genetische Agranulozytose – genetisch bedingter Mangel an Leukozyten; mit schwerer aggressiver Parodontitis assoziiert
      • Leukocyte Adhesion Deficiency Syndrome (LADS) – ein seltener angeborener, autosomal-rezessiv vererblicher Defekt der Adhäsionskaskade; Patienten leiden unter verschiedenen bakteriellen Infektionen, wie rezidivierenden Hautinfektionen, Otitis media (Mittelohrentzündung), Septikämie (Blutvergiftung), verzögerte Wundheilung und einer sehr aggressiv verlaufenden Parodontitis
      • Papillon-Lefèvre-Syndrom (PLS) – seltene, autosomal-rezessiv erbliche Palmoplantarkeratose mit präpubertärer Parodontitis, assoziiert mit Neutrophilendefekten
      • Trisomie 21 (Down-Syndrom; Erbgang: meist sporadisch)  spezielle Genommutation beim Menschen, bei der das gesamte 21. Chromosom oder Teile davon dreifach (Trisomie) vorliegen. Neben für dieses Syndrom als typisch geltenden körperlichen Merkmalen sind in der Regel die kognitiven Fähigkeiten des betroffenen Menschen beeinträchtigt; etwa die Hälfte der Betroffenen entwickeln einen Kataraktschwere destruktive Parodontitis bei jungen Erwachsenen, beruht vermutlich auf mangelnder Neutrophilenfunktion

Verhaltensbedingte Ursachen

  • Ernährung
    • Mangelernährung – Energie- und proteinarme (eiweißarme) Ernährung
    • Mikronährstoffmangel (Vitalstoffe) siehe Prävention mit Mikronährstoffen
  • Genussmittelkonsum
    • Tabak (Rauchen; Risikoerhöhung: 2,5 bis 6-fach) [1, 2]
  • Drogenkonsum
    • Amphetamine (indirektes Sympathomimetikum): Ecstasy (3,4-Methylendioxy-N-Methylamphetamin, MDMA), Crystal Meth (Methamphetamin) oder Methylphenidat
    • Cannabis (Haschisch und Marihuana) – Assoziation mit der Zahl der gerauchten "Joints" und der Cannabis-Abhängigkeit [3]
  • Psycho-soziale Situation
    • Emotionaler Stress
  • Unzureichende Mundhygiene   
  • Übergewicht (BMI ≥ 25; Adipositas) [5]

Krankheitsbedingte Ursachen

  • Bakterielle Infektion der Mundhöhle wie beispielsweise eine Gingivitis
  • Diabetes mellitus – erhöhter parodontaler Zusammenbruch und parodontale Abszesse, möglicherweise aufgrund mangelnder Neutrophilenfunktion
  • Leukämie (Blutkrebs) – schwere destruktive Parodontitis, assoziiert mit Neutropenie
  • HIV-Infektion – schwere destruktive Parodontitis
  • Morbus Bechterew (Synonym: ankylosierende Spondylitis) – chronische entzündliche Erkrankung der Wirbelsäule, die zu einer Gelenksteife (Ankylose) der betroffenen Gelenke führen kann (ca. 7-faches Risiko für Parodontitis)
  • Morbus Crohn – chronisch-entzündliche Darmerkrankung (CED); sie verläuft meist in Schüben und kann den gesamten Verdauungstrakt befallen; charakterisierend ist der segmentale Befall der Darmmukosa, das heißt es können mehrere Darmabschnitte befallen sein, die durch gesunde Abschnitte voneinander getrennt sind; milder bis moderater Verlauf einer Parodontitis (möglicherweise wg. hoher Prävalenz parodontitis-assoziierter Anaerobier, insbesondere des Genus Campylobacter)
  • Neutropenie (→ erhöhte Infektanfälligkeit) – geht mit Ulzerationen, Nekrosen, Blutungen, tiefen Taschen und Knochenabbau einher
  • Osteoporose (Knochenschwund)?
  • Rheumatoide Arthritis – chronisch entzündliche Multisystemerkrankung, die sich meist in Form einer Synovialitis (Gelenkinnenhautentzündung) manifestiert. Sie befällt überwiegend die Gelenke (Polyarthritis, d. h. Arthritis von ≥ 5 Gelenken), seltener auch andere Organe wie z. B. Augen und Haut.

Labordiagnosen – Laborparameter, die als unabhängige Risikofaktoren gelten

  • C-reaktives Protein (CRP) [4]

Medikamente

  • Ciclosporin (Cyclosporin A) – Medikament zur Immunsuppression
  • Hormonelle Kontrazeptiva – Hormonpräparate zur Empfängnisverhütung
  • Hydantoin-Derivate wie Dantrolene (Muskelrelaxantien ), Phenytoin (Antiepileptika)
  • Dihydropyridin (Calciumkanalblocker/Calciumantagonist; Blutdruckmittel)
  • Nifedipin (Calciumantagonist vom Dihydropyridin-Typ)

Umweltbelastung – Intoxikationen (Vergiftungen)

  • Schwermetallvergiftungen (u. a, Blei)

Weitere Ursachen

  • Schwangerschaft

Literatur

  1. Deutsches Krebsforschungszentrum Tabakatlas Deutschland 2015. Heidelberg
  2. Secretan B, Straif K, Baan R et al.: A review of human carcinogens – Part E: tobacco, areca nut, alcohol, coal smoke, and salted fish. Lancet Oncol. 2009 Nov;10(11):1033-4.
  3. Meier MH et al.: Associations Between Cannabis Use and Physical Health Problems in Early Midlife. A Longitudinal Comparison of Persistent Cannabis vs Tobacco Users. JAMA Psychiatry. Published online June 01, 2016. doi:10.1001/jamapsychiatry.2016.0637
  4. Ebersole JL et al.: Systemic acute-phase reactants, C-reactive protein and haptoglobin, in adult periodontitis. Clin Exp Immunol. 1997 Feb;107(2):347-52.
  5. Nascimento GG, Leite FR, Do LG et al.: Is weight gain associated with the incidence of periodontitis? A systematic review and meta-analysis. J Clin Periodontol  2015 Jun;42(6):495-505. doi: 10.1111/jcpe.12417. Epub 2015 Jun 2.
  6. Bao X et al.: Entamoeba gingivalis Causes Oral Inflammation and Tissue Destruction. Journal of Dental Research February 5, 2020 https://doi.org/10.1177/0022034520901738
     
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