Weitere Therapie
Magersucht (Anorexia nervosa)

Die Behandlung der Anorexia nervosa sollte störungsorientiert sein und die körperlichen Aspekte der Krankheit berücksichtigen. Der Heilungsprozess benötigt in der Regel viele Monate, meistens mehrere Jahre.

Indikationen zur stationären Therapie s. u. "Medikamentöse Therapie".

Im Rahmen einer stationären Behandlung sollte eine Gewichtszunahme von 500 g bis maximal 1.000 g pro Woche angestrebt werden; bei ambulanter Behandlung ist das Ziel 200 bis 500 g pro Woche.

Dabei scheint eine höhere initiale Kalorienzufuhr nicht mit einer erhöhten Gefahr für ein Refeeding-Syndrom (Gruppe teils lebensbedrohlicher Symptome, die durch rasche Zufuhr normaler Nahrungsmengen nach langer Zeit der Unterernährung hervorgerufen werden können) verbunden zu sein, soweit eine engmaschige Überwachung der Elektrolyte (Blutsalze), des Wasserhaushaltes und der kardiovaskulären Parameter (Herz- und Gefäß-Parameter) gewährleistet ist [S-3-Leitlinie].
Eine hochkalorische Wiederernährung, bei der die Anorexia-Patienten von Anfang an die Kalorienmenge einer gesunden Person erhielten, hat die stationäre Behandlungszeit verkürzt, ohne dass es zu dem gefürchteten Refeeding-Syndrom kam [34].

Eine tagesklinische Behandlung kann als Alternative zur stationären Behandlung betrachtet werden: Patienten in der Tagesklinik hatten keine geringere Gewichtszunahme als Magersüchtige, die stationär behandelt wurden. Als besonders positiv ist zu vermerken, dass die Patienten in der Tagesklinik weniger psychische Probleme und eine bessere psychosexuelle Entwicklung zeigten [3]. 

Therapieziel: Ein gesundes Gewicht liegt vor, wenn das Körpergewicht ohne Restriktion und Gegenregulation stabil in dem von der WHO festgelegten Bereich zwischen einem BMI von 18,5-24,9 kg/m2 bleibt.

Allgemeine Maßnahmen

  • Einbeziehung der wichtigsten Bezugsperson in den therapeutischen Prozess
  • Strukturierter Tagesablauf
  • Regelmäßige Gewichtskontrollen
  • Psychosoziale Integration: Darunter versteht man vor allem die (Wieder-) Eingliederung in die Schule. Außerdem zählt die Integration in Gruppen Gleichaltriger dazu, um die soziale Isolation aufzuheben.
  • Überprüfung der Dauermedikation wg. möglicher Auswirkung auf die vorhandene Krankheit
  • Vermeidung psychosozialer Belastungen:
    • Angst vor Adipositas
    • Angst vor Überforderung
    • Erfahrungen von Verlust und Ablehnung
    • Emotionale Vernachlässigung
    • Familiäre Faktoren wie Überbehütung und Konfliktvermeidung
    • Familiäre Probleme bzw. Konflikte mit Gleichaltrigen
    • Fehlendes Selbstwertgefühl
    • Körperliche Misshandlung in der Vergangenheit
    • Niedriges Selbstwertgefühl
    • Perfektionismus
    • Psychiatrische Erkrankungen wie eine Depression im familiären Umfeld
    • Sexueller Missbrauch
    • Unzufriedenheit mit dem eigenen Aussehen (Selbstwertprobleme)
    • Zwanghafter, perfektionistischer Charakter

Regelmäßige Kontrolluntersuchungen

  • Regelmäßige ärztliche Kontrolluntersuchungen

Ernährungsmedizin

  • Führen eines Ernährungsprotokolls durch die Patienten → Ernährungsanalyse
  • Ernährungsberatung mit dem Ziel der Ernährungsumstellung und Gewichtszunahme
  • Ernährungsempfehlungen gemäß einem Mischköstler unter Berücksichtigung der vorliegenden Erkrankung. Das bedeutet u. a.:
    • täglich insgesamt 5 Portionen frisches Gemüse und Obst (≥ 400 g; 3 Portionen Gemüse und 2 Portionen Obst)
    • ein- bis zweimal pro Woche frischen Seefisch, d. h. fette Meeresfische (Omega-3-Fettsäuren) wie Lachs, Hering, Makrele
  • Beachtung folgender spezieller Ernährungsempfehlungen:
    • Hilfestellung beim Essen durch die Betreuer – das bedeutet, Erstellen eines Ernährungsplans (4-6 Mahlzeiten), Überwachung der Nahrungszufuhr etc.
    • Im Rahmen der täglichen Energieaufnahme wird für jeweils 10 kg Untergewicht eine Mehrzufuhr von 20 % des Tagesenergiebedarfs empfohlen, bezogen auf das größenabhängige Normalgewicht.
    • Die Ernährung soll hochkalorisch sein – Fettanteil der täglichen Nahrungsenergie: bis zu 40 % der Energiezufuhr.
    • Zu jeder Mahlzeit darf nur so viel gegessen werden, bis eine Sättigung einsetzt. Zu viel Nahrung auf einmal belastet das Verdauungssystem und führt dazu, dass bei der nächsten Mahlzeit der Appetit eingeschränkt ist.
    • Nach dem Aufstehen sollte gleich gefrühstückt werden.
    • Zu grobe Vollkornprodukte und einige Hülsenfrüchte können starke Blähungen und andere Verdauungsbeschwerden verursachen und sollten daher gemieden werden. Zur Deckung des Bedarfs an Ballaststoffen können auch Ballaststoffkonzentrate eingesetzt werden.
    • Eine Flüssigkeitszufuhr sollte stets zwischen den Mahlzeiten erfolgen, damit der Magen nicht zu schnell gefüllt wird. Achtung: Stark kohlensäurehaltige Getränke meiden.
  • Auswahl geeigneter Lebensmittel auf Grundlage der Ernährungsanalyse
  • In lebensbedrohlichen Situationen mit totaler Nahrungsverweigerung kann auch eine künstliche Ernährung notwendig werden, um den Patienten vor tödlich verlaufenden Komplikationen zu bewahren.
  • Siehe auch unter "Therapie mit Mikronährstoffen (Vitalstoffe)" – ggf. Einnahme eines geeigneten Nahrungsergänzungsmittels, z. B. vollbilanzierte Diät zur diätetischen Behandlung von Personen mit kataboler Stoffwechsellage (Energie-Konzentrat als Trinknahrung als Zwischenmahlzeit)
    Für Fragen zum Thema Nahrungsergänzungsmittel stehen wir Ihnen gerne kostenfrei zur Verfügung.
    Nehmen Sie bei Fragen dazu bitte per E-Mail – info@docmedicus.de – Kontakt mit uns auf, und teilen Sie uns dabei Ihre Telefonnummer mit und wann wir Sie am besten erreichen können.
  • Detaillierte Informationen zur Ernährungsmedizin erhalten Sie von uns.

Sportmedizin

  • Führen eines Bewegungsprotokolls – Beachte: Vermehrtes Bewegungsverhalten kann auch ein Symptom einer Anorexie sein, wobei die körperliche Aktivität selbstschädigenden Charakter haben kann.
  • Ausdauertraining (Cardiotraining) 
  • Erstellung eines Fitness- bzw. Trainingsplans mit geeigneten Sportdisziplinen auf der Grundlage eines medizinischen Checks (Gesundheitscheck bzw. Sportlercheck)
  • Detaillierte Informationen zur Sportmedizin erhalten Sie von uns.

Psychotherapie

  • Eine Psychotherapie kann erst durchgeführt werden, wenn eine akute Hungersituation ausgeglichen wurde. Vorher sind vor allem unterstützende Gespräche (Motivationsarbeit) notwendig. Folgende Maßnahmen der Psychotherapie können eingesetzt werden:
    • Kognitive Verhaltenstherapie (KVT) – Besprechung der psychischen Probleme wie der Angst vor der Gewichtszunahme oder dem fehlenden Selbstwertgefühl
    • Interpersonelle Psychotherapie (IPT) – Kurzzeit-Psychotherapie; sie greift u. a. kognitiv-verhaltenstherapeutische Ansätze auf
    • Psychodynamisch orientierte Therapie (PT) – Aufarbeitung von Konflikten und Krisen; beste Langzeiterfolge [2]
    • Familientherapie
    • Elternberatung
    • Soziales Kompetenztraining
    • Entspannungsmethoden
  • Ambulante Psychotherapie: Fünf Jahre nach Therapieende wurden 41 % der Patientinnen als genesen eingestuft, weitere 41 % zeigten nur noch teilweise Magersucht-Symptome und 18 % litten immer noch am Vollbild der Erkrankung [5].
  • Detaillierte Informationen zur Psychosomatik (inkl. Stressmanagement) erhalten Sie von uns.

Nachsorge

  • Medizinische Nachsorge: Nach stationärer sowie auch ambulanter Psychotherapie muss der Therapieerfolg mindestens ein Jahr lang mindestens einmal wöchentlich überprüft werden [1].
  • Weitere Maßnahmen im Rahmen der Nachsorge sind: Rückfallprophylaxe, Krisenintervention, Reintegration der Betroffenen und Sozialberatung.

Organisationen und Selbsthilfegruppen

  • Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BzgA)
    Postfach 91 01 52, D-51071 Köln
    Telefon: 0221-89920, Fax: 0221-8992300 E-Mail: poststelle@bzga.de, Internet: www.bzga.de
  • Overeaters Anonymous. Für Menschen, die eine Essstörung haben (Überessen, Essbrechsucht, Magersucht)
    Postfach 10 62 06, 28062 Bremen
    Telefon: 0421-327224, Fax: 02151-779499, Internet: www.overeatersanonymous.de

Literatur

  1. S3-Leitlinie: Diagnostik und Therapie der Essstörungen. (AWMF-Registernummer: 051 - 026), Mai 2018 Langfassung
  2. Zipfel S et al.: Focal psychodynamic therapy, cognitive behaviour therapy, and optimised treatment as usual in outpatients with anorexia nervosa (ANTOP study): randomised controlled trial. The Lancet 2014; 383:127-37
  3. Herpertz-Dahlmann B et al.: Day-patient treatment after short inpatient care versus continued inpatient treatment in adolescents with anorexia nervosa (ANDI): a multicentre, randomised, open-label, non-inferiority trial. The Lancet, doi: 10.1016/S0140-6736(13)62411-3; 2014
  4. Garber AK et al.: Short-term Outcomes of the Study of Refeeding to Optimize Inpatient Gains for Patients With Anorexia Nervosa A Multicenter Randomized Clinical Trial JAMA Pediatr. Published online October 19, 2020. doi:10.1001/jamapediatrics.2020.3359
  5. Herzog WH et al.: Focal psychodynamic therapy, cognitive behaviour therapy, and optimised treatment as usual in female outpatients with anorexia nervosa (ANTOP study): 5-year follow-up of a randomised controlled trial in Germany Lancet Psychiatry 2022;9(4):280-290 https://doi.org/10.1016/S2215-0366(22)00028-1

Leitlinien

  1. S3-Leitlinie: Diagnostik und Therapie der Essstörungen. (AWMF-Registernummer: 051 - 026), Mai 2018 Langfassung
     
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