Einleitung
Zöliakie

Die Zöliakie (Synonyme: Celiac disease; Coeliakie; einheimische Sprue; Glutenallergie; gluteninduzierte Enteropathie; glutensensitive Enteropathie; Glutenunverträglichkeit; Heubner-Herter-Krankheit; intestinaler Infantilismus; nichttropische Sprue; Sprue, einheimische; ICD-10-GM K90.0: Zöliakie) ist eine chronische Erkrankung der Dünndarmmukosa (Dünndarmschleimhaut; Enteropathie), die auf einer Überempfindlichkeit gegen das Getreideeiweiß Gluten* in genetisch prädisponierten Personen beruht.

Die Zöliakie ist eine eine immunologisch bedingte Systemerkrankung/Autoimmunerkrankung.

Sonderformen der Zöliakie:

  • Atypische Zöliakie: extraintestinale Symptome (außerhalb des Darmsystems) stehen im Vordergrund. Die Zöliakie-Serologie ist positiv. An der Dünndarmschleimhaut lassen sich nur wenige Veränderungen nachweisen. Es liegen keine Zeichen einer Malabsorption vor.
  • Potentielle Zöliakie:  Transglutaminase TG2-IgA- und EMA-IgA-Titer (Endomysium-IgA-Titer) erhöht, bei gleichzeitig normaler Zottenstruktur (Typ 0 oder 1 nach Marsh) in mind. 5 Duodenalbiopsieproben/Gewebeentnahme aus dem Zwölffingerdarm (Bulbus und Pars descendens)
  • Silente Zöliakie: wenn positive Antikörpertiter, eine positive HLA-Konstellation (s.u. Labordiagnostik) und histologische Veränderungen im Dünndarm mit fehlenden klinischen Symptomen vorliegen.
  • Latente Zöliakie: wenn ein prädisponierender HLA-Status vorliegt. Möglicherweise fehlen Symptome und Antikörperauffällligkeiten.

Man spricht von einer refraktärer Zöliakie, wenn trotz einer strikten glutenfreien Diät (GFD) über 12 Monate, nach Sicherung der Diagnose Zöliakie, keine klinische und histologische Besserung erreicht wird. Bislang nur bei erwachsenen Patienten beschrieben.
Die refraktäre Zöliakie Typ I hat einen autoimmunen Charakter und Typ II einen Prälymphomcharakter (weiteres dazu s. u. unter "Verlauf und Prognose").

Wegen des breiten Spektrums an intra- und extraintestinalen Manifestationen (innerhalb und außerhalb des Darmsystems) gilt die Zöliakie als Chamäleon der Krankheiten und wird auch heute noch häufig übersehen. Die diagnostische Latenz (Zeit zwischen dem Auftreten erster Symptome und der definitiven Feststellung der Erkrankung) beträgt ca. 4 Jahre! 

Geschlechterverhältnis: Frauen sind häufiger betroffen als Männer.

Häufigkeitsgipfel: Die Erkrankung tritt im Säuglingsalter/vorwiegend Schulalter und im 4. Lebensjahrzehnt auf.
Zum Zeitpunkt der Diagnose sind Frauen im Mittel zwischen 40 und 45 Jahre alt, bei Männern gibt es zwei Altersgipfel – zwischen 10 und 15 und zwischen 35 und 40 Jahren.
Beachte: Per Screening identifizierte Personen können trotz ausgeprägter Zottenatrophie völlig symptomfrei sein!

Die Prävalenz (Krankheitshäufigkeit) liegt bei 0,5-1 % (in Deutschland); 0,3-3 % (Populationsstudien). In Europa und Nordamerika liegt die Prävalenz bei 1-2 %. In Afrika und Asien ist die Erkrankung kaum bekannt.
In einer schwedischen Studie wurden über 10.000 Kinder der sechsten Klasse (12 Jahre) mittels serologischer Marker auf Zöliakie untersucht: 2,7 % der Kinder zeigten positive serologische Befunde, bei 2,1 % konnte die Diagnose histologisch gesichert werden [1].

Die Inzidenz (Häufigkeit von Neuerkrankungen) der Zöliakie auf Grundlage von prospektiven Screeningstudien ist zwischen dem 2. und 5. Lebensjahr am höchsten [3, 4].
Die kumulative Inzidenz der refraktären Zöliakie beträgt ca. 1,5 % [5].

Verlauf und Prognose: Unbehandelt führt die Krankheit zu Gewichtsverlust, bis zur Kachexie (Auszehrung; starke Abmagerung).
Bei Kindern führt eine unbehandelte Zöliakie meist zu einem Mangel an Vitaminen und Spurenelementen sowie zu einer Eisenmangelanämie (Blutarmut durch Eisenmangel). Dieses wirkt sich negativ auf das Wachstum und die Knochenqualität aus.
Unter strikt glutenfreier Diät (GFD) kommt es in der Regel innerhalb weniger Wochen zur Besserung der Beschwerden. Die Dünndarmmukosa (Dünndarmschleimhaut) regeneriert sich dagegen innerhalb von Monaten und in Einzelfällen in Jahren. Tests auf Zöliakie-spezifische Auto-Antikörper werden negativ. Die Unverträglichkeit besteht jedoch im Regelfall lebenslang.

In seltenen Fällen leidet der Patient trotz einer strikt glutenfreien Diät (GFD) weiterhin an einem Malabsorptionssyndrom bei Persistenz ("Verharren") der zöliakietypischen intestinalen ("darmbezogenen") Zottenatrophie. Soweit es sich dabei um eine refraktäre Zöliakie Typ I, wird der Patient bei Symptomen in der Regel immunsuppressiv ("die normale Funktion des Immunsystem unterdrückend") behandelt. Bei Vorliegen einer refraktären Zöliakie Typ II besteht ein erhöhtes Risiko, dass sich ein enteropathieassoziiertes T-Zell-Lymphom (ETZL) entwickelt. In diesen Fällen ist eine ausgiebige weitere Diagnostik (ggf. Knochenmarkpunktion) erforderlich.

Beachte: Die glutenfreie Diät (GFD) muss lebenslang strikt eingehalten werden. Ziel ist es, dass die Glutenmenge bei < 10 mg pro Tag liegt.

Die Letalität (Sterblichkeit bezogen auf die Gesamtzahl der an der Krankheit Erkrankten) von Patienten mit Zöliakie ist erhöht. Auf Grundlage von Daten von ESPRESSO („Epidemiology Strengthened by histoPathology Reports in Sweden“) mit den schwedischen Sterberegistern wurde festgestellt, dass die Mortalität (Sterberate) mit 9,7 Todesfällen pro 1.000 Personen-Jahren signifikant höher war als in einer Vergleichsgruppe von 246.426 Schweden gleichen Alters und Geschlechts; dort kam es zu 8,6 Todesfällen auf 1.000 Personen-Jahre [7].

Komorbiditäten
(Begleiterkrankungen): Die Erkrankung geht mit einem erhöhten Risiko für das Non-Hodgkin-Lymphom (ein Lymphknoten-Krebs) sowie für Lymphome des Dünndarms und Karzinome des Gastrointestinaltrakes (Magen-Darm-Trakt)
einher.
Zöliakie-Patienten haben ein 2,5-mal so hohes Erkrankungsrisiko für eine Neuropathie (
Sammelbegriff für viele Erkrankungen des peripheren Nervensystems). Das höchste Risiko für diese Diagnose bestand im ersten Jahr, nachdem die Zöliakie diagnostiziert worden war [2].
Eine weitere Komorbidität ist die Epilepsie (Anfallsleiden; bei Kindern HR 1,42 und bei Jugendlichen (Alter < 20 Jahren) bei 1,58) [6].

*Gluten (Speicherproteine des Weizens) wird auch als Klebereiweiß bezeichnet, da es für die Backfähigkeit von Weizenmehlen ausschlaggebend ist und die Backeigenschaften verbessert. Gluten macht etwa 80 % des Gesamteiweißes in Weizen aus und besteht aus mehreren Fraktionen, darunter die Proteine Gliadin und Glutenin.

Literatur

  1. Rosén A et al.: Usefulness of symptoms to screen for celiac disease. Pediatrics 2014; 133: 211-218
  2. Thawani SP et al.: Risk of Neuropathy Among 28232 Patients With Biopsy-Verified Celiac Disease. JAMA Neurol, online 11. Mai 2015; doi:10.1001/jamaneurol.2015.0475
  3. Liu E, Lee HS, Aronsson CA et al.: Risk of pediatric celiac disease according to HLA haplotype and country. N Engl J Med 2014; 371: 42-9
  4. Lionetti E, Castellaneta S, Francavilla R et al.: Introduction of gluten, HLA status, and the risk of celiac disease in children. N Engl J Med 2014 2; 371:1295-303
  5. Malamut G, Afchain P, Verkarre V, Lecomte T, Amiot A, Damotte D et al.: Presentation and long-term follow-up of refractory celiac disease: comparison of type I with type II. Gastroenterology 2009;136(1):81-90
  6. Ludvigsson JF et al.: Increased Risk of Epilepsy in Biopsy-Verified Celiac Disease: A Population-Based Cohort Study. Neurology 2012, 78(18): 1401-1407
  7. Lebwohl B et al.: Association Between Celiac Disease and Mortality Risk in a Swedish Population. JAMA. 2020;323(13):1277-1285. doi:10.1001/jama.2020.1943

Leitlinien

  1. Husby S: European Society Paediatric Gastroenterology, Hepatology and Nutrition Guidelines for Diagnosing Coeliac Disease 2020. J Pediatr Gastroenterol Nutr . 2020 Jan;70(1):141-156. doi: 10.1097/MPG.0000000000002497.
  2. S2k-Leitlinie: Zöliakie. (AWMF-Registernummer: 021-021), Dezember 2021 Langfassung

     
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